Rom Italien droht nach Neuwahl das Chaos

Rom · Ein "wandelnder Toter" und das Comeback eines alten Bekannten: Italien wählt als nächstes großes EU-Land. Doch politischer Stillstand ist programmiert.

In einem Land, in dem vor allem laute Protagonisten das politische Tagesgeschäft bestimmen, ist ein Mann der beliebteste Politiker, der durch Besonnenheit und Zurückhaltung besticht. Gestern hielt Ministerpräsident Paolo Gentiloni seine letzte Pressekonferenz des Jahres, die zugleich das Ende der laufenden Legislaturperiode markierte. Die Passage, mit der sich der 63-jährige Spross einer Adelsfamilie aus der Region Marken wohl am treffendsten selbst charakterisierte, lautete: Das Verdienst dafür, dass sich Italien nach der schwersten Krise der Nachkriegszeit wieder aufgerappelt habe, liege bei den "italienischen Familien, den Unternehmen, denjenigen, die forschen und sich um andere kümmern". Andere Regierungschefs hätten die eigenen Verdienste hervorgehoben. Unter Gentiloni hat in Italien nun britisches Understatement Konjunktur. Keinem Politiker trauen die sehr politikverdrossenen Italiener mehr zu als ihrem Regierungschef.

Das mag paradox wirken angesichts der Tatsache, dass Gentilonis Mitte-Links-Regierung ab sofort nur noch geschäftsführend im Amt ist. Nach seiner Pressekonferenz wollte der Premierminister Staatspräsident Sergio Mattarella in Rom treffen, dem die Entscheidung über die Schlussphase der 17. Legislaturperiode obliegt, die eigentlich erst Mitte März endet. Kurz vor Weihnachten verabschiedete das Parlament als letzten Akt das Haushaltsgesetz für 2018. Weil für die Verabschiedung einiger Gesetzentwürfe wie einem neuen Staatsbürgerschaftsrecht keine Parlamentsmehrheit mehr in Aussicht war, löste Staatspräsident Mattarella die beiden Kammern des Parlaments auf und machte damit den Weg frei für eine Neuwahl im März.

"Ich habe mein erstes Ziel eines geordneten Endes der Legislaturperiode erreicht", sagte Gentiloni. Als weitere Erfolge der Regierung nannte der Premierminister unter anderem den wirtschaftlichen Aufschwung, mehr Arbeitsplätze, die Reduzierung der Zahl der Überfahrten von Flüchtlingen über das Mittelmeer sowie die Einführung der Patientenverfügung.

Seit 2013 waren drei sozialdemokratisch geführte Regierungen aufeinandergefolgt. Auf Enrico Letta folgte als Ministerpräsident der damals aufstrebende Matteo Renzi, der wegen seines konfrontativen Stils inzwischen stark an Sympathien eingebüßt hat, und der politisch gesehen als "wandelnder Toter" gilt. Nach der von den Italienern im Dezember 2016 abgelehnten Verfassungsreform trat Renzi als Premierminister zurück, auf ihn folgte Paolo Gentiloni. Alle drei Regierungen beanspruchen für sich, Wirtschafts- und Strukturreformen vorangebracht zu haben. Die Regierung Renzi verbuchte zudem die Einführung eines Lebenspartnerschaftsgesetzes als Erfolg. Weiterhin ist der Wohlstand in Italien aber vor allem auf den Norden beschränkt, im Süden und in der Hauptstadt Rom ist vom wirtschaftlichen Aufschwung kaum etwas zu spüren. Insgesamt macht Italien knapp zehn Jahre nach der Wirtschaftskrise immer noch einen schwer angeschlagenen Eindruck.

Dass der nun beginnende Wahlkampf und die anschließenden Versuche einer Regierungsbildung ebenfalls geordnet ablaufen werden, ist zu bezweifeln. Beobachter rechnen mit eher turbulenten Monaten in Rom. Das liegt an der Aufsplitterung des früher zweipoligen Parteiensystems auf nun drei Protagonisten und einem neuen Wahlrecht, dass keinen sicheren Sieger garantiert. Neben dem von Gentilonis Parteifreund Matteo Renzi geführten Partito Democratico (PD) und einem von Silvio Berlusconi bestimmten Mitte-Rechts-Lager liegt die Fünf-Sterne-Bewegung des Komikers Beppe Grillo in den Umfragen mit rund 28 Prozent der Stimmen vorne. Die Grillo-Protestbewegung, die mit einem Referendum über den Euro-Austritt liebäugelt, schloss lange Zeit kategorisch die Bildung von Regierungsbündnissen aus. Daran hat sich im Kern auch nichts geändert. Ex-Premier Renzi erteilte einer neuerlichen Zusammenarbeit mit Berlusconi eine Absage. Ab März könnte es demnach zum politischen Stillstand in Italien kommen.

Um einer institutionellen Hängepartie zuvorzukommen, hat Staatspräsident Mattarella, der Regisseur der Übergangsphase, Premierminister Gentiloni bereits signalisiert, dass er weiterhin auf dessen Dienste zählt. Gentiloni und seine Regierung sollen bis zur Wahl kommissarisch im Amt bleiben. Im Fall des Szenarios, dass nach der Wahl im März keine Regierungsbildung gelingen sollte, kündigte etwa Silvio Berlusconi an, er könne sich die Fortführung der Regierung Gentiloni bis zu einem notwendigen zweiten Wahltermin gut vorstellen. Bedenkt man, wie Gentiloni nach dem Rücktritt des damaligen Premiers Matteo Renzi im Dezember 2016 in Folge der abgelehnten Verfassungsreform ins Amt kam, ist das eine kuriose Entwicklung.

(RP)
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