Istanbul Blutiger Anschlag auf türkische Hochzeit

Istanbul · Staatspräsident Erdogan zufolge wurde das Selbstmordattentat in Gaziantep von einem Kind im Auftrag der Terrormiliz IS verübt.

Die Türkei kommt nicht zur Ruhe. Nach der Welle von Anschlägen kurdischer PKK-Terroristen, bei denen in der vergangenen Woche innerhalb von 24 Stunden 14 Menschen starben, schlägt nach Angaben von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan, nun die Extremisten-Miliz "Islamischer Staat" (IS) wieder zu. Ein Selbstmordattentäter hat in der Nacht zu Sonntag in der südostanatolischen Stadt Gaziantep mindestens 51 Menschen in den Tod gerissen, rund 70 sind verletzt worden. Erst im Juni hatten mutmaßliche IS-Selbstmordattentäter den Flughafen von Istanbul angegriffen und 44 Menschen getötet. Kurz nach dem Anschlag verhängte die Rundfunkbehörde eine Nachrichtensperre, die aber nicht für öffentliche Stellungnahmen gilt.

Der Anschlag am Wochenende galt einer Hochzeitsfeier im überwiegend kurdisch besiedelten Stadtviertel Beybahce. Der Selbstmordattentäter - nach Angaben von Erdogan ein Kind zwischen zwölf und 14 Jahren - mischte sich offenbar unter die auf offener Straße feiernde Hochzeitsgesellschaft und zündete seine Bombe. An der Feier nahmen nach Augenzeugenberichten etwa 300 bis 500 Gäste teil. Unter den Opfern sollen auch Kinder sein.

Erdogan sagte, hinter dem Anschlag stecke wahrscheinlich der IS. Die Dschihadisten kontrollieren weite Gebiete jenseits der syrischen Grenze, die nur etwa 35 Kilometer von Gaziantep entfernt ist. Erdogan erklärte, es gebe keinen Unterschied zwischen der PKK, die im vergangenen Monat 70 Angehörige der Sicherheitskräfte ermordet hätte, der "Gülen-Terrororganisation", die den Putschversuch vom 15. Juli inszeniert habe, und dem IS. "Unser Land und unsere Nation haben nur eine einzige Botschaft an jene, die uns angreifen: Ihr werdet keinen Erfolg haben!", sagte Erdogan. Auch Ministerpräsident Binali Yildirim unterstrich, die türkische Gesellschaft werde "mit ihrem Zusammenhalt all diese teuflischen Attacken überstehen".

Der Ministerpräsident kündigte an, sein Land werde in den kommenden Monaten eine "aktivere Rolle" in Syrien spielen. Die Türkei dürfe nicht entlang ethnischer Linien geteilt werden. Grundsätzlich müsse mit dem syrischen Machthaber Baschar al Assad gesprochen werden, da er einer der Akteure sei. Eine dauerhafte Lösung mit ihm an der Spitze Syriens schloss Yildirim aber aus, ebenso direkte Gespräche zwischen der Türkei und Assad.

Vor wenigen Wochen erst hatte Präsident Erdogan das Verhältnis zu Russland weitgehend normalisiert, in dem nach dem Abschuss eines russischen Kampfflugzeuges an der syrisch-türkischen Grenze Eiszeit herrschte. Erdogan war dazu nach Russland zu einem Treffen mit dem russischen Präsidenten Putin gereist. Doch der unterstützt nach wie vor militärisch den syrischen Machthaber Assad.

Der IS hat in der Türkei schon wiederholt Anschläge auf kurdische Versammlungen verübt, so im Juli 2015 auf ein kurdisches Kulturfestival im südostanatolischen Suruç. Bei dem Attentat starben 34 Menschen. Auch unter den 102 Todesopfern des IS-Selbstmordanschlags auf eine Friedenskundgebung vor dem Bahnhof von Ankara im Oktober waren mehrheitlich Kurden.

Dass der IS in der Türkei immer wieder die Kurden ins Fadenkreuz nimmt, hängt mit der Entwicklung im syrischen Bürgerkrieg zusammen. Im Norden Syriens, im Grenzgebiet zur Türkei, kämpfen die Kurden und der IS als unversöhnliche Feinde gegeneinander. Anti-Terror-Experten interpretieren die Anschläge des IS auf kurdische Ziele in der Türkei als Racheakte für die militärischen Erfolge der Kurden im Kampf gegen den IS in Syrien. Die Kurdenmiliz YPG, der syrische Ableger der PKK, hat in den vergangenen Jahren dem IS immer wieder Niederlagen zugefügt - so bei der Befreiung der Kurdenstadt Kobane im Januar 2015 oder jetzt mit der Rückeroberung der Stadt Manbidsch. Für die USA sind die Kurdenmilizen ein wichtiger Verbündeter im Kampf gegen den IS. Die Türkei hingegen sieht in der syrischen Kurdenmiliz wegen der Verbindungen zur PKK und ihrer Autonomiebestrebungen eine Terrorgruppe und stellt sie mit dem IS auf eine Stufe.

Der Tatort Gaziantep wurde wohl nicht zufällig gewählt. Fast ein Fünftel der zwei Millionen Einwohner der gleichnamigen Grenzprovinz sind syrische Bürgerkriegsflüchtlinge. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte Ende April Gaziantep besucht, um sich ein Bild von der Situation in den Flüchtlingslagern zu machen. Der Besuch fand unter allerhöchsten Sicherheitsvorkehrungen statt - denn die Provinzhauptstadt gilt als eine Hochburg des IS.

Die Selbstmordanschläge von Suruç und Ankara, bei denen im vergangenen Jahr 137 Menschen starben, wurden nach Erkenntnissen der türkischen Terror-Fahnder von einer IS-Zelle in Gaziantep geplant. Auch die Spuren der Hintermänner eines Anschlags, bei dem am 19. März dieses Jahres auf der Istanbuler Einkaufsstraße Istiklal Caddesi vier Menschen getötet wurden, führen nach Gaziantep. Und: In Gaziantep wurde im Juli 2015 der IS-Terrorist Ibrahim el Bakraoui festgenommen und nach Europa abgeschoben - einer der Attentäter, die sich am 22. März 2016 am Brüsseler Flughafen in die Luft sprengten.

(RP)
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