Analyse Islam-Visionen

Berlin · Der französische Autor Michel Houellebecq prophezeit mal wieder, dass Europa vor dem Selbstmord durch eine schleichende Islamisierung steht: eine Provokation. Umso betulicher wirkt die offizielle deutsche Diskussion.

Was für ein Tag. An dem man in Berlin das zehnjährige Bestehen der Deutschen Islamkonferenz (DIK) feiert. An dem in Dresden ein Sprengstoffanschlag auf die dortige Fatih-Moschee untersucht wird. Und an dem sich der französische Bestsellerautor Michel Houellebecq mit einer Frankfurter Preisrede Gehör verschafft, in der angesichts zunehmender "Islamisierung" Europas Untergang deklariert wird. Salopp gesprochen ist damit für jeden Debatten-Teilnehmer etwas dabei: von der freundlichen Handreichung und der Kriegserklärung bis hin zur kampflosen Kapitulation.

Angesichts der diffusen Stimmungslage liegt der Verdacht nahe, dass unser Reden über den Islam mitunter hysterische Züge trägt. Das mag insofern verständlich sein, da ein Reden mit dem Islam kaum möglich erscheint. Denn welcher Islam ist gemeint, wer vertritt wen, wo findet sich der richtige Ansprechpartner? Der Islam ist eine Religion ohne wirkliche Anschrift, hat einmal die Berliner Islamwissenschaftlerin Gudrun Krämer gesagt. Wie viele Muslime in Deutschland Ditib versammelt, der Zentralrat der Muslime oder der Verband der Islamischen Kulturzentren, weiß niemand. Auch daran krankt bis heute die Arbeit der Islamkonferenz. Die Konferenz hat in ihrer eher pragmatisch orientierten Phase zumindest versucht, so etwas wie eine "Ersatzanschrift" ins Leben zu rufen. Das war vor fünf Jahren, als an vier Uni-Standorten Seminare zur Ausbildung künftiger Imame eingerichtet wurden.

An Vorbehalten und Kritik mangelt es nicht; und so gibt es bereits seit acht Jahren auch eine "Kritische Islamkonferenz" als unkonventionelle Gegenveranstaltung. Ohnehin wurde manchen islamischen Verbänden unterstellt, an der DIK nur teilzunehmen, um den begehrten Status einer anerkannten Religionsgemeinschaft zu bekommen - während von muslimischer Seite der Verdacht aufkam, die Konferenz wolle eine Art "deutschen Islam" erschaffen.

"Vor zehn Jahren war die Islamkonferenz sicherlich ein richtiges Signal in unsere Gesellschaft", sagte uns gestern die Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor. Aber nach zehn Jahren müsse man endlich zur Erkenntnis gekommen sein, "dass wir ein Einwanderungsland sind und an der Integration alle Bevölkerungsgruppen beteiligt werden sollten. Es kann nicht sein, dass im Ressort des Bundesinnenministers über den Islam diskutiert wird." Die jetzige Debatte ist für sie unehrlich, wenig zielführend.

Wie gering zudem die Strahlkraft der Versammlung ist, zeigt sich an dem Satz: "Der Islam ist Teil Deutschlands und Teil Europas, er ist Teil unserer Gegenwart, und er ist Teil unserer Zukunft." Wolfgang Schäuble sprach den Satz als damaliger Bundesinnenminister und Initiator der Konferenz. Engagiert diskutiert wurde darüber aber erst, als einige Zeit später auch Bundespräsident Christian Wulff ähnlich Lautendes von sich gab.

So betulich die DIK ist, so provokant ist Michel Houellebecq. Natürlich. Schließlich ist der 60-Jährige ein Prophet, ein selbst ernannter, genauer: "ein Prophet im halben Sinn des Wortes, ein Prophet, dessen Vorhersagen sich nur langsam realisieren". Dazu zählt er auch seine jüngste Weissagung vom Selbstmord Europas. In seiner Dankesrede zum Frank-Schirrmacher-Preis zeichnet er das Bild unserer Zukunft, in dem der Dschihadismus aus purer Ermattung ein Ende findet, der Islam aber allmählich vordringt, da der gemeine Europäer schlicht und einfach aufgehört hat, Kinder zu zeugen. Das hört sich nach den typischen Warnrufen von Vertretern der Identitären Bewegung an. Houellebecq aber ist kein stupider Nachbeter. Seine Untergangs-Szenarien - angestimmt schon in seinem jüngsten Roman "Unterwerfung" - atmen einen anderen, gleichfalls europäischen Gestus, den der Dekadenz. So erzählt das Buch von der Übernahme einer ermüdeten Gegenwartsgesellschaft durch einen gemäßigten Islam, der keineswegs Inbegriff einer Anti-Moderne oder wenigstens Vormoderne ist. Dieser Islam erweist sich als flexibel und handlungsfähig selbst im säkularen System. "Also ja", sagt Michel Houellebecq auf der Preisverleihung, "man kann dieser ältesten, aus dem späten Mittelalter wieder aufgetauchten Formel, dem salafistischen Islam, eine große Zukunft voraussagen."

Der Islam wird bei Houellebecq zu einer Antwort auf den "apokalyptischen Zustand des Westens und dessen katastrophale Flucht nach vorne", so der Philosoph Clemens Pornschlegel. Ein modernes Buch Hiob, gewissermaßen. In Houellebecqs Islam-Visionen spiegelt sich dann auch der Westen: mit seiner Konsumfrustration, seinen Idealen der Profitgier, der Unabhängigkeit und Individualität, des Überdrusses und des Karrieredenkens. Das ist eine Gesellschaft, der die bürgerliche Mitte abhanden gekommen ist. Aus diesem Unbehagen wächst eine neue Sehnsucht - das ist der Wunsch nach Religion.

Man muss einem Schriftsteller - selbst wenn er für unsere Zeit so bedeutend ist wie Michel Houellebecq - nicht jede hybride Selbsteinschätzung glauben. Zum Propheten langt es bei ihm jedenfalls nicht. Aber es reicht, den Diskurs befördern zu können. Und es ist viel, wenn ein Autor die unmittelbare Gegenwart wahrzunehmen und in Geschichten zu erzählen vermag: Sein Roman "Unterwerfung" erschien am Tag der Anschläge auf das Satire-Magazin "Charlie Hebdo" mit einer Houellebecq-Karikatur auf dem Titelblatt; und der "New York Times" gab er ein Interview über die Gefahren des islamistischen Terrors, das am 11. September 2001 erschien.

Houellebecqs Worte vermischen sich am gestrigen Tag wiederum mit jenen der Ermittler des Anschlags auf die Dresdner Moschee. Professionell gebaut sei der Sprengsatz, hieß es. Und: Man gehe von einem fremdenfeindlichen Motiv aus.

(los)
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