Teheran Irans Führung verliert den Rückhalt

Teheran · Die regimekritischen Proteste im schiitischen Gottesstaat weiten sich aus. Die bisherige Bilanz: mindestens zwölf Tote.

Der Iran kocht. Es gibt Tote und Verletzte und wenig Aussicht auf ein Einlenken der schiitischen Mullah-Führung, die seit der Revolution 1979 an der Macht ist. Innenminister Abdolresa Rahmani Fasli setzt angesichts der Eskalation auf Einschüchterung, um die sich zuspitzende innenpolitische Lage wieder in den Griff zu bekommen. Immerhin sind dies die größten Proteste in den vergangenen zehn Jahren gegen die Machthaber in Irans Hauptstadt Teheran. Doch der Virus der Aufmüpfigkeit hat sich schon längst weit ins Land gefressen. In rund 50 Orten der Islamischen Volksrepublik brodelt es, Menschen gehen überall auf die Straßen, sie protestieren gegen die Obrigkeit, sie wollen Verbesserungen ihrer zum Teil erbärmlichen Lebensumstände. Ob es gelingt, noch einmal den Geist dieses Aufruhrs zurück in die Flasche zu zwingen, ist offen.

Fasli wird deutlich: Sollten die Demonstranten weiter Gesetze verletzen, müssen sie mit harten Strafen rechnen. Präsident Hassan Ruhani hatte zuvor weichgespült erklärt, die Menschen dürften die Regierung kritisieren, sie dürften auch protestieren, doch die Regierung werde für diejenigen keine Toleranz zeigen, die gegen die öffentliche Ordnung verstießen und öffentliches Eigentum beschädigten. Die Europäische Union rief die iranische Führung zur Wahrung des Demonstrationsrechts auf.

Bislang sind zwölf Menschen getötet, und rund 800 Demonstranten festgenommen worden. Das staatliche Fernsehen zeigte Bilder von Zerstörung und Gewalt. Auch eine regierungsfreundliche Demonstration von Unterstützern des Regimes wurde gezeigt. Bei einer Kundgebung in der zentraliranischen Stadt Nadschafabad kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. Dabei sind nach Informationen des staatlichen Fernsehens ein Polizist getötet und drei weitere verletzt worden. Unabhängige Berichterstattung und der Zugang zu Online-Diensten, über die Regierungsgegner in Verbindung stehen, wurden dagegen gekappt. Was nach außen dringt, sind schwer überprüfbare Privatvideos von Smartphones.

Der eruptive Ausbruch von Unzufriedenheit bis hin zur Gewalt kommt nicht von ungefähr. Ein Teil der erzkonservativen Geistlichkeit im Gottesstaat folgt der einfachen Einschätzung, dass ausländische Mächte als Drahtzieher hinter den Protestierenden stünden. Doch das geht an der Wirklichkeit vorbei. Es geht um die Kraftprobe zwischen Teilen der Geistlichkeit und Reformkräften, die Iran weiter Richtung Freiheit, Demokratisierung und Globalisierung entwickeln möchten, aber am erzkonservativen Klerus scheitern.

Bei einer Krisensitzung der Sicherheitskommission sagte Präsident Ruhani gestern, es sei falsch, diese Proteste nur als ausländische Verschwörung einzustufen. Die Probleme der Menschen seien nicht nur wirtschaftlicher Natur, sie forderten auch mehr Freiheiten. Proteste seien das legitime Recht der Demonstranten, aber zugleich warnte er vor Ausschreitungen, die die Sicherheit des Landes gefährden könnten. Nichts Versöhnliches verheißen da die Worte des Vize-Sicherheitschefs der Revolutionären Garden, Esmail Kowsari, der ankündigte, die Demonstranten würden "die eiserne Faust" der Nation zu spüren bekommen. Das klingt nicht nach Kompromisswilligkeit.

Auslöser der Demonstrationen waren Proteste gegen die steigenden Preise für Lebensmittel, die Versorgungslage, die Ankündigung von höheren Treibstoffpreisen sowie eine Perspektivlosigkeit für weite Teile der Jugend. Von den 80 Millionen Iranern sind 55 Prozent unter 30 Jahre alt. Die Jugendarbeitslosigkeit beträgt 29 Prozent. Auch nach der Aufhebung der Wirtschaftssanktionen im Rahmen des internationalen Atomabkommens ist der wirtschaftliche Aufschwung kaum spürbar. Das fördert den Frust der Jugend, die sich von der globalisierten Welt abgeschnitten fühlt.

Sorgen muss sich der Iran wegen der Kritik an seiner Außenpolitik. Die Iraner, die zwar Moslems, aber keine Araber sind, unterstützen arabische Staaten wie Syrien, Libanon, Jemen oder die Palästinenser. Dabei geht es auch um eine machtpolitische Standortbestimmung mit dem sunnitischen Saudi-Arabien. Beide Länder zielen auf eine Führungsrolle in der islamischen Welt. Vielen Demonstranten ist da das Hemd näher als der Rock. Angesichts von Schwierigkeiten und Engpässen im eigenen Land forderten sie auf Transparenten, dass das Geld, das bisher in arabische Länder oder an arabische Gruppen wie die Hisbollah geflossen sei, im Iran investiert werden sollte, um allen Iranern zu nutzen. Auch für viele, vor allem junge Iraner, ist die von den Mullahs gepflegte Feindschaft zu den Vereinigten Staaten und Israel ein alter Zopf, der abgeschnitten gehöre. Anderenfalls bleiben die Zukunftsaussichten für Irans Jugend düster.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort