Neu-Delhi Indien: Schnellverfahren für Vergewaltiger

Neu-Delhi · Den fünf Männern, die ihr Opfer mitten in der Hauptstadt gefoltert und getötet haben, droht die Hinrichtung.

1000 Seiten soll die Anklageschrift umfassen – es sind Dokumente des Grauens. Im Eiltempo wurde in Delhi Mordanklage gegen fünf der sechs Männer erhoben, die eine 23-jährige Inderin am 16. Dezember in Delhi vergewaltigt und gefoltert haben; bei dem sechsten Täter ist noch unklar, ob er volljährig ist. 13 Tage nach dem Verbrechen war die Medizinstudentin ihren schweren inneren Verletzungen erlegen. Der Prozess soll bereits morgen beginnen. Zuständig ist eines der neuen Schnellgerichte in Neu-Delhi, die erst am Mittwoch als Konsequenz aus dem grauenhaften Fall eröffnet worden sind.

Die Polizei hat angekündigt, sich für die härtestmögliche Strafe einzusetzen. Das wäre der Tod am Galgen. Auch der Vater der Studentin forderte die Hinrichtung der Täter. "Das ganze Land verlangt, dass diese Monster gehängt werden", sagte er in seinem Heimatdorf Mandwara Kalan im Bundesstaat Uttar Pradesh. Die Anwaltskammer am Gerichtsstandort im Delhi-Stadtteil Saket teilte mit, ihre Mitglieder weigerten sich angesichts des "abscheulichen Verbrechens", die Verdächtigen zu verteidigen.

Die junge Frau, deren Name geheimgehalten wird, ist zur Symbolfigur für das Leid ungezählter Frauen in Indien geworden. Die sechs Männer hatten die 23-Jährige und ihren Freund in einen Bus gelockt, dann den Freund bewusstlos geschlagen und die Frau vergewaltigt. Mit einer Eisenstange brachten sie ihrem Opfer schwerste innere Verletzungen bei. Die Täter warfen das Paar schließlich auf die Straße und versuchten, die Frau zu überfahren. Ihr Freund konnte sie in letzter Minute wegziehen.

Das Martyrium der 23-Jährigen hat Indien aufgerüttelt, die Fernsehsender kennen kaum noch ein anderes Thema. Seit über zwei Wochen gehen Menschen auf die Straße. Angeführt werden die Proteste von Studentinnen und Studenten, doch auch Menschen aus unteren Schichten und allen Altersgruppen sind mit dabei. Sogar in Nepal, Bangladesch und Pakistan, wo Frauen ähnliches Leid erfahren, kam es zu kleinen Kundgebungen.

Die Parteien, die Vergewaltigung lange Zeit als Kavaliersdelikt abgetan haben, übertreffen sich auf einmal mit Vorschlägen, wie man die Gewalt gegen Frauen eindämmen könnte. Viele davon sind eher populistisch als hilfreich – wie der Ruf nach chemischer Kastration von Tätern. Doch immerhin hat die Regierung nun Schnellgerichte eingesetzt, damit Vergewaltigungsfälle nicht länger verschleppt werden. Das ist ein erster Schritt. Obwohl es großen Mut erfordert, eine Vergewaltigung anzuzeigen – denn in der Regel wird nicht der Täter, sondern das Opfer sozial geächtet –, steigt die Zahl der registrierten Fälle beständig: 2011 waren es 24 206, ein Drittel mehr als zehn Jahre zuvor.

Die Dunkelziffer ist jedoch riesig. Experten schätzen, dass die tatsächliche Zahl um das Hundertfache höher liegt, denn Gewalt gegen Frauen ist in Indien Alltag, Gruppenvergewaltigungen kommen häufig vor. Familien setzen die Opfer unter Druck zu schweigen. Richter verurteilen Frauen oft dazu, ihre Vergewaltiger zu heiraten. In vielen Fällen weigert sich die Polizei, eine Anzeige überhaupt erst aufzunehmen.

Oder die Täter bedrohen die Opfer. Wie im Fall einer Elfjährigen aus Jaipur, die 14-mal operiert werden musste, weil sie im August von sechs erwachsenen Männern einen Tag lang vergewaltigt worden ist. Die Familie des Opfers bekommt Drohungen. "Sie sagen: Ihr seid arm, ihr habt keine Chance", erzählt die Schwester des Opfers. "Nehmt Geld und zieht die Anzeige zurück." Selbst wenn die Opfer den Gang zur Polizei wagen, geraten Aussage und medizinische Tests schnell zur demütigenden Tortur. Die wenigen Fälle, die es vor Gericht schaffen, ziehen sich oft über Jahre hin, bis die Opfer zermürbt aufgeben. Drei von vier Angeklagten werden freigesprochen.

Die Regierung hat angekündigt, die Gesetze zu verschärfen. Aber es ist vor allem ein Umdenken in der gesamten Gesellschaft notwendig. Indien hat mächtige Frauen hervorgebracht. Lange vor Deutschland hatte es mit Indira Gandhi eine Regierungschefin, heute gilt ihre Schwiegertochter Sonia Gandhi, Chefin der mächtigen Kongress-Partei, als die heimliche Regentin. Doch zugleich behandelt Indien viele seiner Frauen wie Menschen zweiter Klasse. Jedes Jahr werden Zehntausende Föten abgetrieben, nur weil sie weiblich sind. Jede Stunde wird eine Frau wegen der Mitgift ermordet. "Ehrenmorde", Zwangs- und Kinderheiraten sowie Säure-Attacken sind verbreitet. Und erst wenn Frauen einen Sohn gebären, sind sie etwas wert.

(RP)
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