Rom In Italien verschwinden Flüchtlingskinder

Rom · Kriminelle werben die Minderjährigen für den Drogenhandel an oder zwingen sie zur Prostitution.

Erst bringen Schlepper Flüchtlingskinder auf gefährlichen Wegen nach Europa. Dann versklaven sie sie oder beuten sie sexuell aus. Diese Horrorvision könnte der europäischen Polizeibehörde Europol zufolge für viele Minderjährige auf der Flucht schon Wirklichkeit sein. Nach einer vorsichtigen Schätzung sind in den vergangenen zwei Jahren 10.000 alleinreisende Flüchtlingskinder in Europa verschwunden, die Hälfte davon nach ihrer Ankunft in Italien.

Ahmad ist einer von ihnen. Mit 16 Jahren kam er nach Rom. Doch jetzt, wo er da ist, will er am liebsten wieder zurück in seine Heimat, nach Ägypten. Aber er kann nicht, er hat kein Geld. "Ich habe meinen Freunden zu Hause gesagt, dass sie nicht kommen sollen", erzählt Ahmad. Aber sie glauben ihm nicht. "Sie werden schon sehen", sagt der junge Mann. Wie Ahmad schlagen sich mittlerweile Dutzende Flüchtlingskinder in Rom durch. Sie konkurrieren um Jobs auf dem Großmarkt, in Pizzerien oder in Autowaschanlagen. Für einen Hungerlohn von zwei, drei, mit viel Glück fünf Euro pro Stunde.

Nach Angaben der Hilfsorganisation "Save the Children" sind im vergangenen Jahr etwa 270.000 Kinder und Jugendliche in die EU eingereist, viele von ihnen unbegleitet. Es handelt sich um ein ganzes Heer von Kindern und Jugendlichen, das schutzlos und unkontrolliert durch Europa irrt. "Kleine unsichtbare Sklaven" nennt "Save the Children" diese Gruppe. Die römische Zeitung "La Repubblica" spricht von "kleinen Geistern", deren Spur sich irgendwann, irgendwo verloren habe. Immer wieder wird auch über Fälle von Zwangsprostitution berichtet. Vor allem Mädchen aus Nigeria, die der brutalen Gewalt der islamistischen Terrormiliz Boko Haram entkommen sind, würden nun in Italien gezwungen, sich zu prostituieren.

"Kinder aus Ägypten und Bangladesch bleiben meist in Italien", sagt Valentina Murino. "Sie werden fast immer Opfer von Ausbeutung und Kriminalität." Murino leitet am Stadtrand von Rom eine private Einrichtung für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Zwischen zehn Uhr abends und zehn Uhr morgens stellt die Einrichtung Betten, Duschen, Kleider, psychologische und rechtliche Betreuung sowie ein warmes Essen zur Verfügung. "Manche halten unsere Arbeit für illegal, aber die Unterstützung Minderjähriger steht für uns über allem anderen", sagt Murino. Mehr als 2500 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge haben seit 2011 auf den Service der Einrichtung zurückgegriffen, jedes Jahr etwa 500. Der überwiegende Teil von ihnen stammt aus Afghanistan, Eritrea, Ägypten, Somalia oder Bangladesch. Die meisten Jugendlichen, die nach ihrer Ankunft in Italien spurlos verschwinden, sind zwischen 15 und 17 Jahre alt.

In Deutschland werden nach Schätzungen des Bundeskriminalamts (BKA) rund 5000 Flüchtlingskinder vermisst. Die Bundesregierung hält die Zahl allerdings für nicht verlässlich. Ein Sprecher des Familienministeriums sagte, die aus dem BKA stammenden Zahlen seien missverständlich und nicht belastbar. Der Sprecher räumte jedoch ein, das Ministerium habe keine eigenen Daten.

(RP)
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