Hongkong Hongkong fürchtet um die Freiheit

Hongkong · 20 Jahre nach der Rückgabe der Kronkolonie an China zieht Peking die Zügel an.

Anson Chan zieht eine schmerzliche Bilanz. Niemand hat der Welt vor 20 Jahren die Formel "Ein Land, zwei Systeme" überzeugender verkauft als die damalige Verwaltungschefin des letzten britischen Gouverneurs von Hongkong, Chris Patten. Die zierliche Chinesin stand als "Nummer Zwei" für Kontinuität. Denn sie diente nach der Rückgabe der Kronkolonie am 1. Juli 1997 an China auch dem ersten Regierungschef Tung Chee-hwa unter chinesischer Souveränität.

"Ich habe damals gesagt: Macht Euch keine Sorgen. Hongkong wird so bleiben, wie es ist", sagt die heute 77-jährige Chan. "Ich muss sagen, wenn ich vorhergesehen hätte, was heute in Hongkong passiert, hätte ich das nicht mit solchem Enthusiasmus getan."

Zwei Jahrzehnte später ist aus Chinas Gehilfin im Übergang eine scharfe Kritikerin geworden. Trotz aller Verdienste für Peking hat die "Eiserne Lady Hongkongs" heute sogar Angst. Über die Grenze nach China reist sie nicht mehr. Sie fürchtet, dass chinesische Agenten Anstoß an ihrer Kritik nehmen und sie verschwinden lassen könnten. Einen ausländischen Pass, der sie schützen könnte, besitzt sie nicht. Das mysteriöse Verschwinden von fünf Herausgebern chinakritischer Bücher aus Hongkong oder des Milliardärs Xiao Jianhua, der Geschäfte mit Chinas Machtelite gemacht hatte, weckt nach Chans Ansicht eindeutig Fragen nach der persönlichen Sicherheit. Kein Zweifel: Der Schock unter den sieben Millionen Hongkongern darüber, dass der Arm chinesischer Staatsorgane immer länger wird, sitzt tief.

Während Chan nicht mit Schelte spart, blickt der langjährige Parlamentspräsident Jasper Tsang wohlwollender auf die Geschichte. Er gehört zum Peking-freundlichen Lager in Hongkong, vertuscht die Probleme aber nicht und ist sehr populär. Die pragmatische Formel "ein Land, zwei Systeme", habe schon "ziemlich gut funktioniert", sagt Tsang. Allerdings habe der Versuch, nationale Sicherheitsgesetze in Hongkong einzuführen, und Pekings Weigerung, wie versprochen allgemeines Wahlrecht zu erlauben, zu wachsendem Widerstand gegen die Regierung geführt, sagt er.

Viele sorgten sich um die Unabhängigkeit der Justiz und die Freiheit der Presse, die unter Druck gerieten. Peking wolle ein "gesäubertes System, wo ein Richter immer zugunsten der Partei entscheidet, die Medien unkritisch sind und die Opposition nicht vom Volk unterstützt wird", beklagt Tsang. "Aber das ist nicht Hongkong."

(dpa)
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