Nikosia Historisches Nachbarschaftstreffen

Nikosia · Erdogan ist der erste türkische Staatschef seit 65 Jahren, der Athen besucht. Auch kritische Themen stehen auf dem Plan.

Das Ereignis ist schon geschichtsträchtig, bevor es überhaupt stattgefunden hat. Wenn Recep Tayyip Erdogan heute in Athen eintrifft zu zweitägigen Gesprächen mit der griechischen Führung, tut er das als erster türkischer Präsident seit 1952. Erdogan folgt einer Einladung des griechischen Staatspräsidenten Prokopis Pavlopoulos und wird auch Ministerpräsident Alexis Tsipras treffen. Obwohl die Diskussion schwieriger Themen ansteht und sich große Erwartungen daran knüpfen, wurde zunächst keine konkrete Agenda veröffentlicht, was griechische Medien als Hinweis auf Probleme mit dem Besuchsprogramm interpretieren. Die Sicherheitsvorkehrungen sind massiv.

Dass es seit 65 Jahren keinen Staatsbesuch gegeben hat, spiegelt das angespannte, von Misstrauen geprägte Verhältnis der beiden Ägäis-Nachbarn wider. Umso größer ist die symbolische Bedeutung. "Auf der Tagesordnung werden Themen stehen, die beide Länder beschäftigen - Spannungen in der Ägäis, die Flüchtlingskrise, wirtschaftliche Beziehungen mit Fokus auf Energie, Handel und Transport", sagte der griechische Regierungssprecher Dimitris Tsanakopoulos. "Wir erwarten eine substanzielle Verbesserung unserer Beziehungen zur Türkei." Etwas verhaltener war aus Ankara vom "gemeinsamen Willen zur Lösung einiger Probleme" zu hören.

Erdogan macht es den Griechen nicht einfach. Er plant nach Angaben griechischer Medien zunächst einen Besuch der rund 100.000 Menschen starken türkischen Minderheit in Westthrazien, deren angebliche Diskriminierung Ankara beklagt. Griechische Kommentatoren äußerten die Befürchtung, dass der türkische Präsident dort ethnische Spannungen anheizen könnte. Eine offene Versammlung mit Erdogan in der Stadt Komotini sei nicht genehmigt worden, nachdem der türkische Vizepremier Hakan Çavusoglu dort bei einem Besuch der Minderheit vor einem Monat Bemerkungen gemacht hatte, die in Athen als höchst provozierend empfunden wurden: "Wir, als das Mutterland, als die Türkei, werden euch nicht aufgeben, und haben das nie getan." Für Alexis Tsipras, dessen Regierung wegen Korruptionsvorwürfen unter Druck steht, wäre eine Erklärung Erdogans in diese Richtung politisches Gift.

Die nächste Hürde: Erdogan wird in Athen wohl auch die Auslieferung von acht türkischen Armeeoffizieren fordern, die nach dem Putschversuch vom Juli 2016 mit einem Hubschrauber nach Griechenland flüchteten und dort im Januar politisches Asyl erhielten. Ankara betrachtet die Männer als Terroristen; der Fall belastet die Beziehungen ebenso wie die Tatsache, dass inzwischen mehr als tausend türkische Bürger in Griechenland Asyl beantragt haben. Dass die griechische Polizei letzte Woche neun kurdische Linksextremisten aus der Türkei festnahm, die angeblich ein Bombenattentat auf Erdogans Autokolonne in Athen planten, kann als Geste verstanden werden, dass man den Kampf gegen den Terror ernstnimmt. Während des Besuchs werden laut der griechischen Zeitung "Kathimerini" 2800 Polizisten, Spezialkräfte und Scharfschützen Erdogan beschützen. Gleichwohl reist der türkische Präsident mit 200 eigenen Sicherheitsleuten an.

Ein andauerndes Ärgernis zwischen den beiden Nato-Partnern sind die militärischen Probleme zu Wasser und in der Luft, weil die Türkei griechische Grenzen nicht anerkennt. Immer wieder überfliegen türkische Jets unbewohnte griechische Inseln, die Ankara für sich beansprucht. Doch auch die Griechen verletzen die türkische Souveränität. Fast wöchentlich kommt es zu Abfangjagden über der Ägäis, weshalb die Modernisierung der griechischen F-16-Kampfjets für 2,4 Milliarden Dollar, die Tsipras im Oktober bei einem Besuch in Washington vereinbart hat, Ankara alarmierte. Während Tsipras dort erklärte, die Beziehungen seines Landes zu den USA seien "seit dem Zweiten Weltkrieg nie besser gewesen", ist das türkisch-amerikanische Verhältnis auf einem historischen Tiefpunkt angelangt. Aufgrund der zunehmenden internationalen Isolation könnte die Türkei jetzt deutlich stärker an der Zusammenarbeit mit Griechenland interessiert sein, meinen politische Beobachter in Athen.

Im Vordergrund des Besuchs dürften große gemeinsame Infrastrukturprojekte stehen, über die Erdogan reden will: eine neue Grenzbrücke über den Evros in Thrakien, eine Trasse für Hochgeschwindigkeitszüge zwischen Istanbul und Thessaloniki und die Ausweitung der Fährverbindungen in der Ägäis, vor allem zwischen den Metropolen Izmir und Thessaloniki. Es wird außerdem um den zuletzt wieder angestiegenen Flüchtlingsstrom aus der Türkei gehen und um eine verbesserte Zusammenarbeit bei der Terrorabwehr. Auch auf der geteilten Mittelmeerinsel Zypern weckt der Erdogan-Besuch Hoffnungen auf einen neuen Impuls für die im Juli ergebnislos abgebrochenen Genfer Gespräche zur Wiedervereinigung. Allerdings schlug der griechisch-zyprische Staatspräsident Nikos Anastasiades am Montag einen harten Ton an und warf der Türkei vor, Kriegsverbrechen während der Militärintervention von 1974 zu vertuschen. Erdogans Interesse dürfte sich aber ohnehin weniger auf Zypern richten als darauf, in Alexis Tsipras einen Partner zu finden, der ihm hilft, die Spannungen zwischen der Türkei und der EU zu verringern. Der griechische Premier hat zuletzt mehrfach erkennen lassen, dass er eine solche Mittlerrolle einnehmen könnte.

(RP)
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