Philadelphia Hillary Clinton geht mit Kaine auf Nummer sicher

Philadelphia · In den Reihen der Demokraten hätte es aufregendere Kandidaten für den Posten des Vizepräsidenten gegeben als Tim Kaine.

Hillary Clinton geht mit Tim Kaine auf Nummer sicher
Foto: dpa, tm cs hpl

Ja, er sei ein Langweiler, hat Tim Kaine neulich über sich selbst gesagt. Wenn man ihn in diese Schublade stecken wolle, wolle er gar nicht widersprechen. Parteifreunde, die ihn genauer kennen, widersprechen da schon. Sobald sich Kaine eine Mundharmonika an die Lippen halte, werde es alles andere als langweilig, meint der Senatsveteran Mark Warner, Kaines politischer Mentor aus dem Bundesstaat Virginia.

Jedenfalls ist klar, dass Hillary Clinton auf Nummer sicher ging, als sie den 58 Jahre alten Musikliebhaber, der Harmonika spielt und in einem Gospelchor singt, zu ihrem Kandidaten für die Vizepräsidentschaft kürte. Es hätte aufregendere Alternativen gegeben: Elizabeth Warren, Tom Perez oder Cory Booker. Warren, eine Senatorin aus Massachusetts, ist so etwas wie die politische Zwillingsschwester von Bernie Sanders, weil sie die wachsende soziale Ungleichheit genauso kompromisslos wie Sanders zum Thema macht. Perez, Arbeitsminister im Kabinett Barack Obamas, wäre der erste Latino gewesen, der sich um das Amt des Vizepräsidenten beworben hätte. Booker, ein afroamerikanischer Senator aus New Jersey, machte sich als zupackender Bürgermeister der Problemstadt Newark einen Namen. Clinton hat alle drei in die engere Wahl genommen, letztlich aber wurde es ein Praktiker, von dem sie glaubt, dass er das Handwerk des Regierens beherrscht. Die Worte, mit denen sie Kaine am Samstag in Miami vorstellte, sind praktisch dieselben, mit denen sie sich selbst charakterisiert: "ein Progressiver, der die Dinge gern erledigt bekommt".

Es war nicht das erste Mal, dass Timothy Michael Kaine als Mitfavorit für den Vizeposten gehandelt wurde. Bereits 2008 hat Obama ihn ernsthaft in Betracht gezogen, bevor er sich für Joe Biden entschied. Kaine war damals Gouverneur Virginias, und als einer der ersten Demokraten von Rang schon zum Außenseiter Obama übergelaufen, als sich die meisten noch hinter Clinton, der klaren Favoritin des Kandidatenduells, stellten. Dass sie ihm heute dennoch den Zuschlag gibt, zeigt zumindest, dass sie nicht nachtragend ist.

Im rationalen Kalkül der früheren Außenministerin soll Kaine wohl vor allem eines erreichen: Er soll dafür sorgen, dass Virginia, wo es oft auf der Kippe steht zwischen Demokraten und Republikanern, im November Hillary Clinton wählt und nicht Donald Trump. Darüber hinaus soll er die weiße Arbeiterschaft ansprechen, ein Milieu, dem Trump mit seinen vollmundigen Versprechen vom industriellen Wiederaufbau nicht unwesentlich seinen überraschenden Aufstieg verdankt. Schließlich soll er in hart umkämpften "Swing-States" wie Florida oder Nevada punkten, wo überproportional viele Hispanics zu Hause sind. Seit er ein Jahr bei Missionaren in Mittelamerika verbrachte, spricht er fließend Spanisch.

Kaine, ein bekennender Katholik, stammt aus einfachen Verhältnissen. Sein Vater war Schweißer in Kansas City, wo er eine kleine Werkstatt betrieb. Der Junior besuchte eine Jesuitenschule, wollte ursprünglich Journalist werden, studierte zunächst an der University of Missouri und dann Jura an der prestigeträchtigen Harvard Law School. Er heiratete die Tochter eines bekannten Republikaners aus Virginia, wo er seine Karriere begann.

(RP)
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