Stuttgart/Mainz/Magdeburg Herbe Verluste für Volksparteien - AfD überall zweistellig

Stuttgart/Mainz/Magdeburg · Die ersten Landtagswahlen nach Zuspitzung der Flüchtlingskrise in Deutschland haben der rechtspopulistischen AfD massive Gewinne beschert. CDU und SPD büßten teilweise erheblich an Wählervertrauen ein, während die FDP Erfolge verbuchen konnte.

12,7 Millionen Bürger, mithin jeder fünfte wahlberechtigte Deutsche, waren am gestrigen "Super-Sonntag" aufgerufen, ihre Stimme bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt abzugeben, wo die Wahlbeteiligung durchweg deutlich gestiegen ist. Insofern wird das Ergebnis als bundesweit relevanter Stimmungstest für die große Koalition in Berlin gesehen, vor allem, was das Vorgehen in der Flüchtlingskrise betrifft.

Während die AfD auf Anhieb den Sprung in alle Länderparlamente schaffte und in Pforzheim und Mannheim sogar Direktmandate erzielte, zählen die Sozialdemokraten und die CDU von Bundeskanzlerin und Parteichefin Angela Merkel zu den klaren Verlierern, obwohl alle drei CDU-Spitzenkandidaten sich von Merkels europäischem Kurs in der Flüchtlingspolitik abgesetzt und nationale Maßnahmen zur Reduzierung des Andrangs gefordert hatten.

In sämtlichen Bundesländern, in denen gestern gewählt wurde, könnten die dortigen Ministerpräsidenten im Amt bleiben, sie müssen sich allerdings neue Bündnispartner suchen, da die bisherigen Koalitionen keine Mehrheit mehr haben.

Den größten Erfolg verbuchten die Grünen: In Baden-Württemberg wurden sie mit über 30 Prozent erstmals stärkste Partei in einem Bundesland überhaupt. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) erhob unmittelbar nach den ersten Hochrechnungen Anspruch auf die Regierungsbildung. Seine Partei habe im Südwesten "Geschichte geschrieben".

Auch CDU-Landeschef Thomas Strobl machte in Baden-Württemberg einen Anspruch seiner Partei auf das Amt des Regierungschefs deutlich, obwohl die Christdemokraten mit ihrem eher blassen Spitzenkandidaten Guido Wolf eingebrochen und mit nur etwa 27 Prozent erstmals seit Gründung des Bundeslandes nicht stärkste Partei geworden waren. Strobl, der auch Vize-Parteichef ist, brachte eine sogenannte Deutschland-Koalition aus CDU, SPD und FDP für Baden-Württemberg ins Spiel. Die bisher mitregierende SPD hat ihr Ergebnis im Vergleich zur Wahl von 2011 mit knapp 13 Prozent nahezu halbiert und liegt noch hinter der AfD, die auf rund 15 Prozent kam. Die FDP verbesserte ihr Ergebnis um drei Punkte auf gut acht Prozent, während die Linke an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterte.

In Rheinland-Pfalz erreichte keines der traditionellen politischen Lager eine Mehrheit. Die seit 25 Jahren regierende SPD wurde aber nach jahrelanger Umfrageschwäche mit gut 36 Prozent wieder stärkste Partei. Die CDU von Herausforderin Julia Klöckner büßte rund drei Prozentpunkte ein, die 2011 erstarkten Grünen stürzten um rund zehn Prozentpunkte auf fünf Prozent ab. Die FDP konnte nach fünf Jahren Abwesenheit mit über sechs Prozent erneut in den Mainzer Landtag einziehen. Die AfD schaffte bei ihrer Premiere zwölf Prozent. Auch in Rheinland-Pfalz blieb die Linke mit drei Prozent draußen. Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) will nun das Gespräch mit den Grünen und der FDP suchen. Eine große Koalition mit der CDU sei für sie nur "Ultima Ratio". Eine Fortsetzung des rot-grünen Bündnisses wird wegen des schlechten Abschneidens der Grünen nicht möglich sein. Klöckner räumte ihre Niederlage per Twitter ein: "Ein Ziel nicht erreicht: stärkste Partei zu werden. Ein Ziel erreicht: Rot-Grün abzulösen."

In Sachsen-Anhalt erlitt die seit 2002 regierende CDU mit Ministerpräsident Reiner Haseloff leichte Stimmenverluste und landete bei knapp 30 Prozent (2011: 32,5), verteidigte aber ihre Position als stärkste Partei. Ihr Juniorpartner SPD allerdings stürzte wie in Baden-Württemberg ab: Gut zehn Prozent sind für eine Fortsetzung der Koalition zu wenig. Die Linke fiel mit nur 16 Prozent (2011: 23,7) hinter die AfD als neue Nummer zwei zurück. Die Grünen bangten am Abend um den Verbleib im Landtag. Die bereits zuletzt dort nicht vertretene FDP lag am späten Abend unterhalb der Fünf-Prozent-Hürde. Damit würden die Mandate laut ARD-Hochrechnung wie folgt verteilt: CDU 36, SPD 12, Grüne 6, Linke 19, AfD 29. Für eine Neuauflage von Schwarz-Rot würde das nicht reichen. Möglich wäre lediglich Schwarz-Rot-Grün - alle anderen Kombinationen sind politisch unwahrscheinlich oder rechnerisch nicht machbar. Kommen auch die Grünen nicht in den Landtag, könnte es für Schwarz-Rot in Magdeburg reichen. Dieses Bündnis regiert seit 2006.

"Wir sehen in diesen Wahlen, dass sich die Wähler von den großen Volksparteien im großen Maße abwenden", erklärte AfD-Chefin Frauke Petry. Trotz der Wahlerfolge stelle sich ihre Partei nicht auf eine Regierungsbeteiligung ein. Auch aus der Opposition heraus könne die AfD Politik gestalten. SPD-Chef Sigmar Gabriel wertete die AfD-Erfolge als Zäsur. Die demokratische Mitte sei schwächer geworden, sagte Gabriel in der SPD-Zentrale in Berlin. Die SPD werde "den Kampf um das politische Zentrum in Deutschland in voller Entschlossenheit aufnehmen". Er rufe alle Menschen, die für Liberalität und Zusammenhalt stünden, auf, die SPD in diesem Kampf zu unterstützen. Auch wenn das Ergebnis der AfD niemanden zufrieden machen könne: "Es wird dem Land keine Instabilität bringen", sagte der SPD-Chef.

NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) erklärte mit Blick auf die AfD: "Wir dürfen nicht zulassen, dass die großen Vereinfacher in diesem Land die politische Substanz und die Richtung der deutschen Politik gefährden und infrage stellen." Kraft fügte hinzu: "Es ist wichtig, dass die Demokraten jetzt zusammenstehen. Protest wählen löst keine Probleme."

Kanzlerin Merkel muss ihren Flüchtlingskurs nach den Worten von CDU-Generalsekretär Peter Tauber nicht ändern. "Das sehe ich nicht", sagte Tauber in der Berliner Parteizentrale. Zufrieden zeigte sich der FDP-Vorsitzende Christian Lindner: "Wir haben unsere parlamentarische Basis verbreitert. Mit der FDP ist weiter zu rechnen."

(RP)
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