Berlin Athen schiebt 200 Flüchtlinge ab

Berlin · Im Gegenzug eröffnen Deutschland und Finnland syrischen Flüchtlingen die legale Einreise in die EU. Hilfsorganisationen und Kirchen bezweifeln die Rechtsstaatlichkeit des neuen Verfahrens.

Ursachen der großen Flucht
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Foto: ALESSANDRO BIANCHI

Auf der Grundlage des EU-Türkei-Abkommens sind gestern erstmals rund 200 Flüchtlinge aus Griechenland zurück in die Türkei gebracht worden. Im Gegenzug reisten 43 Syrer auf legalem Weg nach Deutschland und Finnland ein. 32 von ihnen trafen mit Linienmaschinen in Hannover ein und werden nach Zwischenstationen im Durchgangslager Friedland und in einem ersten Integrationskurs demnächst auf niedersächsische Städte und Gemeinden verteilt.

Brüssel und Ankara hatten vereinbart, für jeden seit dem 20. März illegal eingereisten Flüchtling, der von Griechenland in die Türkei zurückgebracht wird, einen syrischen Flüchtling legal in der EU aufzunehmen. Diese Regelung gilt zunächst für 72.000 syrische Flüchtlinge in der Türkei. Davon sollen etwa 15.000 nach Deutschland kommen. Neben Finnland haben sich auch die Niederlande und Frankreich bereit erklärt, sehr schnell Flüchtlinge aufzunehmen. Damit werde "endlich ein zentraler Schritt gemacht, um den Schleppern ihr kriminelles Handwerk zu legen", sagte Unions-Außenexperte Jürgen Hardt. Regierungssprecher Steffen Seibert nannte den gestrigen Montag einen "wichtigen Tag" bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise.

Organisationen der Flüchtlingshilfe äußerten jedoch scharfe Bedenken. "Es gab kein rechtsstaatliches Verfahren", sagte Pro-Asyl-Europareferent Karl Kopp. Nach Behördenangaben hätten die Zurückgeführten kein Asyl in der EU beantragen wollen. Pro Asyl bezweifelt indes, ob die Flüchtlinge Zugang zu Rechtsbeiständen hatten. Die Organisation werde nun sowohl auf dem Instanzenweg als auch kurzfristig über ein Eilverfahren den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte einschalten. "Es ist unser klares Ziel, das neue Verfahren ordentlich rechtsstaatlich überprüfen zu lassen", erklärte Kopp.

Starke Bedenken meldete auch die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) an. "Das Abkommen darf nicht dazu dienen, dass Europa sich abschottet und die Verantwortung für die Aufnahme von Flüchtlingen an andere abschiebt", sagte der Ratsvorsitzende der EKD, Heinrich Bedford-Strohm. "Gegenwärtig warten viele Flüchtlinge in Griechenland, ohne angemessen versorgt zu werden. Die notwendigen Voraussetzungen, geordnete rechtsstaatliche Verfahren zu gewährleisten, bestehen offensichtlich noch nicht."

Die Meldungen von Amnesty International, dass die Türkei in großer Zahl Flüchtlinge nach Syrien abschiebe, seien sehr ernst zu nehmen, erklärte Bedford-Strohm. Ein solches Vorgehen wäre inakzeptabel. Gleichzeitig sei die Zahl der Flüchtlinge, die in Europa Aufnahme fänden, extrem gering geworden. "Das alles deutet nicht darauf hin, dass die jetzt praktizierte Regelung gegenwärtig den geforderten humanitären und rechtlichen Standards genügt", lautet sein Fazit.

Angesichts der stark gestiegenen Zahl von Asylanträgen in Griechenland rief das Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) dazu auf, die Gesuche individuell, fair und effizient nach internationalen und europäischen Standards zu prüfen. Dafür benötige Athen die Unterstützung der EU. Dies gelte auch für bessere Aufnahmestrukturen. Es sei "dringend notwendig, Alternativen für die automatische Inhaftierung zu finden", sagte die deutsche UNHCR-Chefin Katharina Lumpp unserer Redaktion. Ebenso wichtig sei es, Möglichkeiten der legalen Aufnahme für Flüchtlinge aus Krisenregionen in Europa und anderswo auszubauen, forderte Lumpp.

(jd/may-/qua)
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