Washington Gott schütze Amerika

Washington · In seiner Rede zur Lage der Nation versucht US-Präsident Donald Trump, in einem gespaltenen Parlament Optimismus zu verbreiten.

Billy Long sitzt schon im Saal, um auf seinen Präsidenten zu warten, da hat Donald Trump im Weißen Haus wahrscheinlich gerade das Mittagessen verdaut. Der Abgeordnete aus Missouri hat es sich in einem braunen Ledersessel bequem gemacht, gleich links vom Mittelgang, der die Sitzreihen des Repräsentantenhauses trennt. Vierte Reihe von vorn. Es ist gerade mal 14 Uhr. Noch sieben Stunden, ehe Trump ans Rednerpult tritt.

Doch Long, einst Immobilienmakler, seit sieben Jahren Volksvertreter, wird nicht mehr von seinem Platz weichen. Als der Präsident endlich erscheint und quer durch ein Volksvertreterspalier läuft, gibt er ihm einen euphorischen Klaps auf den Unterarm, dann greift er nach seiner Hand und schüttelt sie kräftig. Zur Rechten steht Eliot Engel bereit, um Gleiches zu tun. Long ist Republikaner, Engel Demokrat. Trump, früher eher Demokrat, heute Republikaner, genießt es sichtlich, das Bad in der Menge.

Schulterklopfen von allen Seiten, während die Parteifarbe für einen Abend in den Hintergrund tritt: Es ist ein Ritual, das sie mit Inbrunst pflegen auf dem politisch so zerrissenen Kapitolshügel in Washington. Einmal im Jahr, wenn der Staatschef dem Kongress berichtet, wie er die Lage der Nation sieht, wollen sie vergessen lassen, welch tiefe Gräben sie an den restlichen 364 Tagen trennen. Parlamentstheater. Entsprechend ausgelassen ist die Stimmung. Auch bei Donald Trump.

Mit den Harmonieübungen ist es jedoch bald vorbei. Je länger der Präsident redet, umso klarer lassen sich die Fronten erkennen. Links die Republikaner, sie springen gefühlt nach jedem dritten Satz begeistert auf. Rechts die Demokraten, in aller Regel bleiben sie sitzen, demonstrativ versteinerte Gesichter, manche schon durch Kleidungssymbole Widerspruch signalisierend. Schwarze Abgeordnete haben sich bunte Schals um den Hals gelegt, bedruckt mit Motiven aus Afrika, um deutlich zu machen, was sie von einem Präsidenten halten, der afrikanische Staaten neulich als "Dreckslochländer" beschimpfte. Einer von ihnen, Bennie Thompson aus Mississippi, hatte Trump demonstrativ den Rücken zugekehrt, als der an ihm vorbei zum Pult schritt. Etliche Frauen in den demokratischen Reihen tragen Schwarz, ein Zeichen der Solidarität mit der MeToo-Bewegung.

"Im Laufe des vergangenen Jahres", sagt Trump, "haben wir unglaubliche Fortschritte gemacht und außergewöhnliche Erfolge erzielt". Links Beifallsstürme, rechts eisiges Schweigen. "Wir haben die Schönheit der Seele Amerikas gesehen und den Stahl im Rückgrat Amerikas." Links Euphorie, rechts betretenes Augenrollen. Irgendwann wird Trump sagen, dass man den Kern der "desaströsen" Gesundheitsreform Barack Obamas kassiert habe, die Pflicht zur Krankenversicherung. Links dröhnender Applaus, rechts schütteln sie verzweifelt die Köpfe.

In vagen Umrissen skizziert Trump ein 1,5-Billionen-Dollar-Programm zur Modernisierung der vielerorts maroden Infrastruktur. Und fügt hinzu, dass es neben staatlichen auch auf private Investitionen ankomme. Ein Demokrat namens Joseph Crowley, New Yorker wie der Präsident, reibt Daumen und Zeigefinger gegeneinander. "Viel Geld für die Freunde", ruft er dazwischen und meint Bauunternehmer, wie Trump einer war. Dann listet der Mann am Pult stichpunktartig auf, welche Kompromisse er anpeilt, um das Einwanderungsrecht zu reformieren. Für die Dreamer, Kinder illegal Eingewanderter, die häufig noch nicht mal zur Schule gingen, als sie mit ihren Eltern ins Land kamen, sollen sich die Türen hin zur Einbürgerung öffnen. Dafür bekommt Trump seine Mauer. Eine "große Mauer" an der Südgrenze werde man bauen, betont er, bevor er für einen Kurswechsel bei der legalen Einwanderung plädiert. Für ein Ende dessen, was er Kettenmigration nennt. Heute könne ein einziger Immigrant eine praktisch unbegrenzte Zahl entfernter Verwandter nachholen, behauptet er, und diesmal beschränkt sich der Protest der Opposition nicht auf Schweigen und Augenrollen. Buhrufe werden laut, eigentlich ein Tabu bei einer "State of the Union Address".

Das gespaltene Parlament, es ist so etwas wie das Thema des Abends, so sehr sich das auch an den Harmonie-Ritualen reibt. Und sonst? Die Augen des Präsidenten, der rhetorisch nur in Fahrt kommt, wenn er improvisieren kann, kleben förmlich am Teleprompter. Keine Poltereinlagen, stilistisch gibt er den Staatsmann. In dem Versuch, optimistisch zu klingen wie einst Ronald Reagan, die Galionsfigur der Republikaner, beschwört er einen "neuen amerikanischen Moment". Nie habe es eine bessere Zeit gegeben, um den amerikanischen Traum zu leben. In den - eher spärlichen - außenpolitischen Passagen ist alles dem Leitgedanken untergeordnet, dass sich Amerika, anders als unter Obama, wieder resolut seiner Stärke bedient.

Als er den Saal verlässt, wartet Billy Long aus Missouri einmal mehr auf seinen Moment. Er hält Donald Trump einen Stift unter die Nase, klappt ein Buch auf und bittet um ein Autogramm. Der Titel: "Great Again". 209 Seiten, gedruckt in Wahlkampfzeiten.

(RP)
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