Istanbul Gezi-Park: Erdogan nimmt zweiten Anlauf

Istanbul · 2013 hatte das Bauvorhaben Massenproteste ausgelöst. Der Präsident provoziert bereits seine Gegner.

Polizisten in Kampfmontur, Demonstranten, Tränengas: Die Szenen, die sich am Wochenende in der Innenstadt der türkischen Metropole Istanbul abspielten, glichen jenen vor fast genau drei Jahren, als sich die Staatsmacht und die Gezi-Protestbewegung in derselben Gegend fast täglich schwere Straßenschlachten lieferten.

Die Konfrontation am Samstagabend begann, als die Polizei gegen eine Kundgebung einschritt, mit der gegen einen Überfall auf einen Plattenladen im Szeneviertel Cihangir protestiert werden sollte. Rund 20 islamistische Raufbolde hatten die Gäste in dem Laden verprügelt, in dem das neue Album der britischen Rockband Radiohead vorgestellt wurde. Die Besucher des Ladens hätten im Fastenmonat Ramadan Bier getrunken, brüllten die mit Knüppeln bewaffneten Angreifer.

Erdogan selbst heizte die Stimmung an. Er kündigte an, das nach den Gezi-Protesten von 2013 gestoppte Projekt der Wiedererrichtung eines osmanischen Kasernengebäudes auf dem Gelände des kleinen Gezi-Parks in Istanbul neu zu beleben. Die Kaserne werde gebaut, und eine Moschee sowie ein Opernhaus dazu, sagte der Präsident.

Der Protestbewegung warf Erdogan vor, ihren eigenen - von ihm selbst und seinen Anhängern als verwestlicht, alkoholfreundlich und säkular abgelehnten - Lebensstil anderen aufzwingen zu wollen. Der Satz war eine gezielte Provokation, denn viele weltlich eingestellte Türken empfinden gerade die Politik von Erdogans islamisch-konservativer Partei AKP als Angriff auf ihren eigenen Lebensstil.

"Wir werden mutig sein", sagte Erdogan in Anspielung auf die zu erwartenden neuen Proteste. Unterdessen verbreiteten Erdogan-Anhänger beim Kurznachrichtendienst Twitter offene Todesdrohungen gegen die Gezi-Bewegung.

Manche Beobachter vermuten hinter der Eskalation politische Taktik. Schon häufiger in seiner Karriere hat der inzwischen 62-jährige Erdogan die Polarisierung vorangetrieben, um seine Anhänger vor wichtigen Abstimmungen um sich zu scharen. Nun steht wieder eine wichtige Wahl bevor: AKP-Politiker Mustafa Sentop sagte, seine Partei strebe für Ende 2016 oder Anfang 2017 eine Volksabstimmung über die Einführung eines Präsidialsystems in der Türkei an. Um das Referendum anzusetzen, braucht die AKP im Parlament mindestens 330 der 550 Stimmen; bei der Volksabstimmung selbst reicht dann eine absolute Mehrheit von 50 Prozent der Stimmen, um aus der Türkei eine Präsidialrepublik zu machen.

(RP)
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