Interview mit Minister Gerd Müller (CSU) "Dann werden sich weitere Millionen auf den Weg machen"

Berlin · Der Entwicklungshilfeminister warnt vor einer humanitären Katastrophe im Nahen Osten. Auch im Irak sei die Lage prekär. Er mahnt entschlossenes Handeln und neue Partnerschaften mit Krisenregionen an.

 Entwicklungshilfeminister Gerd Müller (CSU) sprach mit unserer Redaktion über die Krisen der Zukunft.

Entwicklungshilfeminister Gerd Müller (CSU) sprach mit unserer Redaktion über die Krisen der Zukunft.

Foto: ap

Er gehört zu den engagiertesten und energischsten Ministern in Merkels Bundeskabinett. Weitsichtig warnte Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) lange vor der Flüchtlingswelle und forderte, mehr in die Region und die Lager zu investieren. Vergeblich. Nun erklärt er, was als Nächstes geschehen muss.

Was erwarten Sie von der Münchner Sicherheitskonferenz?

Müller Es muss ein starkes Signal geben, dass Amerikaner, Russen und Europäer kooperieren für eine gemeinsame Syrien-Linie. Wir brauchen einen sofortigen Waffenstillstand und den Start einer Hilfsaktion für die Menschen in und um Aleppo.

Welchen Weg zum Frieden sehen Sie?

Müller Entscheidend ist, dass Russen, Amerikaner und die Regionalmächte den Waffenstillstand wollen. Hier liegt der Schlüssel. Dann geht es weiter über die Wiederaufnahme der Genfer Friedensverhandlungen. EU-Ratspräsident Donald Tusk könnte und sollte eine Vermittlerrolle übernehmen. Wir müssen zudem verhindern, dass die Eskalation über Syrien hinausgeht.

Wo droht es sonst noch überall zu brennen?

Müller Ich war gerade in Jordanien und im Irak. Die gesamte Region steht vor einer gefährlichen Destabilisierung. Im kurdischen Irak werden seit Dezember keine Löhne mehr bezahlt, auch nicht für das Sicherheitspersonal, für Ärzte, Lehrer und Soldaten. Das geht nicht mehr lange gut.

Was ist zu tun?

Müller Die Londoner Geberkonferenz hat rund zehn Milliarden Euro akquiriert. Aber es nützt wenig, wenn die Mittel nur auf dem Papier stehen. Sie müssen auch fließen, um zu verhindern, dass die ganze Region kollabiert. Die koordinierte Hilfsaktion für die Menschen in Aleppo und andere syrische Städte brauchen wir heute, nicht in drei Monaten. Die Menschen haben nichts mehr zu essen, nichts zu trinken, werden quasi als Geiseln genommen. Wir dürfen nicht länger zuschauen, sondern müssen sofort Korridore zur Versorgung der Menschen schaffen. Das ist humanitäres Völkerrecht.

Sonst streben weitere Flüchtlinge nach Europa?

Müller Wir dürfen nicht vergessen, dass es allein in der Ukraine zwei Millionen Binnenflüchtlinge gibt, dass wir den Krieg im Jemen haben, die Millionen von Menschen, die in Afghanistan zur Flucht bereit sind. Und denken Sie an die 15 Millionen Flüchtlinge in afrikanischen Krisengebieten. Das zeigt die unglaubliche Herausforderung. Wenn wir hier kein Konzept zur Bewältigung dieser Jahrhundertaufgabe finden, gehen wir dramatischen Zeiten entgegen. Wir sehen doch, wo die nächsten Krisen drohen und sich die nächsten Flüchtlingsströme aufbauen. Bisher reagieren wir nur, wir müssen mehr agieren.

Wie wollen Sie vorgehen?

Müller Wenn uns die wirtschaftliche Stabilisierung in den Krisenländern nicht gelingt, werden sich weitere Millionen auf den Weg nach Europa machen. Nehmen wir Ägypten mit fast 100 Millionen Menschen, von denen die Hälfte unter 20 Jahre alt ist, fast die Hälfte ohne Job. Da tickt eine weitere Zeitbombe. Die Lösung kann nur in einer neuen Partnerschaft liegen, durch die Investitionen in diese Länder kommen. Auch in den Maghreb-Staaten sind Investitionen dringend nötig. Dort gibt es riesige Chancen. Wir sollten Investitionen in Problemregionen steuerlich fördern und Bürgschaften ausweiten, um Krisenregionen im eigenen Interesse zu stabilisieren. Das sind riesige Wachstumsmärkte.

Haben Sie den Eindruck, dass Afghanistan und die Maghreb-Staaten sichere Herkunftsländer sind?

Müller In Afghanistan ist die Lage schwierig, aber nicht im ganzen Land herrscht Terror. In den Maghreb-Staaten gibt es eine große Ungleichheit zwischen Arm und Reich. Das nutzen Schlepperbanden aus.

Sollte die Entwicklungshilfe an die Bereitschaft zur Rücknahme von Flüchtlingen gekoppelt werden?

Müller Das hätte nichts mit vorausschauender Friedens- und Sicherheitspolitik zu tun. Wer Entwicklungspolitik als Almosen und Beruhigung des eigenen Gewissens sieht, verkennt die dramatischen Herausforderungen. Wenn wir die Berufsbildungsprojekte in Tunesien schließen und die jungen Menschen auf der Straße stehen, werden sich die Probleme noch vergrößern. Es gibt nur ein "nach vorne" in der Kooperation. Die Länder sind doch bereit, entschiedener gegen Schlepper vorzugehen und Menschen zurückzunehmen. Dafür weiten wir unsere Eingliederungsprojekte aus.

Horst Seehofer spricht von einer "Herrschaft des Unrechts" - sehen Sie das auch so als Ergebnis der Regierungsarbeit?

Müller Dazu wurde in den vergangenen beiden Tagen alles gesagt.

GREGOR MAYNTZ FÜHRTE DAS INTERVIEW.

(may-)
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