Brüssel "Frei von der Leber": Oettinger bittet um Verzeihung

Brüssel · Es ist eine Entschuldigung, wie sie vermutlich nur von Günther Oettinger kommen kann. "Frei von der Leber" habe er in der vergangenen Woche in Hamburg gesprochen, lässt der deutsche EU-Kommissar zu seiner "Schlitzaugen"-Rede mitteilen. Er habe nun aber Zeit gehabt nachzudenken, "und ich kann jetzt sehen, dass die Worte, die ich verwendet habe, negative Gefühle hervorgerufen und sogar Menschen verletzt haben". Er wolle sich für jede Äußerung entschuldigen, die "nicht so respektvoll" war.

Ob die Erklärung ausreichen wird, um einen schweren Karriereschaden abzuwenden, ist allerdings höchst fraglich. Oettingers Vorgesetzter, EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, ließ kurz nach der Veröffentlichung der Abbitte mitteilen, dass er heute ein weiteres Gespräch mit seinem deutschen Kommissar führen werde. Ein Sprecher weckte zudem mit Anspielungen auf ein Telefonat am Mittwoch Zweifel daran, dass Oettinger die Erklärung freiwillig abgab.

Fast eine Woche lang hatte sich der CDU-Politiker nämlich hartnäckig geweigert, um Verzeihung zu bitten - obwohl jeder im Internet nachhören konnte, dass er Chinesen in einer Rede vor Hamburger Unternehmern als "Schlitzaugen" bezeichnet und missverständliche Äußerungen über eine angebliche Pflicht-Homoehe und die Frauenquote gemacht hatte. Ein Brüsseler Journalist berichtete gestern, dass ihm Oettinger noch am Mittwochvormittag gesagt habe, er sehe in seinen Bemerkungen nichts Skandalöses und folglich auch keinen Grund für eine Entschuldigung.

Dementsprechend interpretieren Kritiker nun auch die Erklärungen zu der Rede, die Oettinger in englischer Sprache auch als "frank and open" ("frank und frei") bezeichnete. "Diese Entschuldigung von Günther Oettinger ist ein schlechter Witz", sagte SPD-Generalsekretärin Katarina Barley. Ihm sei offensichtlich die Tragweite seiner "rassistischen und homophoben Äußerungen" nicht bewusst. Der Grünen-Politiker Kai Gehring kommentierte: "Oettingers Entschuldigung ist halbherzig, daher bleibt er als einziger deutscher EU-Kommissar untragbar und zum Fremdschämen."

Ob Oettingers Vorgesetzter Juncker mehr Verständnis hat, wird sich vermutlich nach dem Telefonat heute zeigen. Juncker hatte dem Deutschen erst kurz vor dem Bekanntwerden der Rede eine Beförderung in Aussicht gestellt. So soll Oettinger in der Europäischen Kommission künftig eigentlich nicht mehr für das Ressort Digitalwirtschaft, sondern für die Ressorts Haushalt und Personal zuständig sein. In diesem Zusammenhang war sogar davon die Rede, dass der 63-Jährige einer der Vizepräsidenten der mächtigen Brüsseler Behörde werden könnte.

(dpa)
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