Paris Franzosen diskutieren "Guantanamo" für Islamisten

Paris · Nach den jüngsten Terroranschlägen streiten Politiker und Experten in Frankreich über den Umgang mit radikalisierten Jugendlichen.

"Alle wussten, dass dieser Junge eine Zeitbombe war." Das sagte ein Bekannter über Adel Kermiche - den 19-Jährigen, der Ende Juli in dem Ort Saint-Etienne-du Rouvray einem Priester mitten im Gottesdienst die Kehle durchgeschnitten hat. Der Schulabbrecher aus Nordfrankreich, der im vergangenen Jahr zweimal versuchte, nach Syrien zu kommen, gehörte zu den Jugendlichen, die sich in einer gut integrierten Familie radikalisierten und zur tödlichen Gefahr wurden.

Kermiche hatte wie mehr als gut 11.000 andere in Frankreich einen Sicherheitsvermerk "S", der ihn als Verdächtigen erfasste. Der konservative Abgeordnete Georges Fenech forderte für solche "Fichés S" nun ein "französisches Guantanamo".

Aber Internierungslager für Verdächtige kommen für Regierungschef Manuel Valls nicht infrage. Der Sozialist stellte im Mai einen Plan gegen Radikalisierung und Terrorismus vor, der andere Maßnahmen vorsieht. So setzt der Premier auf "Zentren für Wiedereingliederung und Bürgertum" - Internate, die radikalisierte Jugendliche wieder zu treuen Staatsbürgern machen sollen. Eine Maßnahme, die in Deutschland umstritten ist. "Deradikalisierung ist immer individuell", sagt die deutsche Extremismusexpertin Claudia Dantschke. Die Leiterin der Berliner Beratungsstelle Hayat gegen Radikalisierung hat einen dichten Terminkalender, denn sie gilt als die Fachfrau schlechthin. Vor einigen Wochen kam sie nach Paris, um in der deutschen Botschaft über ihre Erfahrungen zu berichten und sie mit denen in Frankreich zu vergleichen.

Ihre Vorstellungen beißen sich mit denen von Präfekt Pierre N'Gahane, dem Generalsekretär des interministeriellen Ausschusses zur Verbrechensbekämpfung. Er verteidigt die Umerziehungseinrichtungen, von denen bis Ende 2017 jede der 13 Regionen Frankreichs eine bekommen soll. "Ein Teil derer, die in den Dschihad ziehen, sucht einen festen Rahmen", begründet er die Initiative, die vor allem auf Disziplin setzt. Rund 30 radikalisierte Jugendliche sollen dort ein zehnmonatiges Programm durchlaufen, bei dem sie Uniform tragen und täglich zum Fahnenappell gerufen werden.

Dantschke läuft es beim Gedanken an die geplanten Einrichtungen kalt den Rücken hinunter. "Die Zentren bestätigen das Kernprinzip der Uniformität", kritisiert sie. Genau das hätten die Jugendlichen schon im Dschihad gelernt: Uniformität und Konformität. "Wir müssen dagegen arbeiten", fordert Dantschke. Auch Jan Buschbom vom Violence Prevention Network Deutschland sieht das skeptisch. "Eine Feuerwehr-Deradikalisierung funktioniert nicht", sagt der Experte, der seine Erfahrungen aus Ausstiegsprogrammen für Neonazis bezieht. "Es geht um nachhaltig angelegte Resozialisierungsprozesse."

Die Ausgangslage ist in beiden Ländern ähnlich: Frankreich zählt laut Regierung 635 Kämpfer in Syrien und im Irak, rund Tausend weitere wollen sich dem Dschihad dort anschließen. In Deutschland geht das Bundeskriminalamt von gut 800 Ausgereisten aus. Eine besondere Bedrohung sind die Rückkehrer aus den Kriegsgebieten, von denen es in beiden Ländern gut 200 gibt. Die Ansätze, wie mit ihnen umgegangen werden soll, sind unterschiedlich.

Frankreich hat in den vergangenen Jahren bereits Syrien-Rückkehrer wie den Angreifer auf das jüdische Museum in Brüssel, Mehdi Nemmouche, erlebt, die zur Tat schritten. Oppositionschef Nicolas Sarkozy fordert deshalb die Inhaftierung aller Rückkehrer aus dem Dschihad, von denen derzeit 171 in vorbeugender Sicherungsverwahrung sind. Für Claudia Dantschke der falsche Ansatz. "Die Rückkehrer sollten möglichst in ihrem Umfeld belassen werden, statt sie in ein Camp zu verfrachten", fordert sie. "Aus den Camps kommen die Rekruten von morgen."

(RP)
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