Angst vor Terror Frankreich steht vor neuem Kopftuchkrieg

Paris · Die Angst vor Terror heizt die Stimmung auf. Schon werden Forderungen nach weiteren Verboten islamischer Symbole laut.

Frankreich steht vor neuem Kopftuchkrieg
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Ein solcher Anblick ist selten vor der renommierten Politik-Hochschule Sciences Po im schicken siebten Stadtbezirk von Paris: Vor dem schmiedeeisernen Eingangstor stehen gleich mehrere sorgfältig geschminkte junge Frauen. Sie tragen Kopftücher in Rosa, Lila oder Grau. "Hijab Day" hieß die Aktion, mit der Studentinnen um mehr Verständnis für Musliminnen werben wollten. Sie riefen ihre Kommilitoninnen auf, sich den Tag über ein Kopftuch umzulegen.

Doch wie immer, wenn es in Frankreich um das Kopftuch geht, schlugen die Wellen sofort sehr hoch. Politiker der regierenden Sozialisten und der konservativen Opposition reagierten empört auf die Aktion. Der konservative Abgeordnete und Präsidentschaftsbewerber Bruno Le Maire twitterte: "In Frankreich sind Frauen sichtbar. Nein zum Bekehrungseifer!" Der Philosoph Bernard-Henri Lévy fragte gar: "Wann kommt ein Tag der Scharia? Der Steinigung? Der Sklaverei?"

Als erstes westliches Land hatte das laizistische Frankreich vor fünf Jahren ein Verbot der Burka, des Ganzkörperschleiers, eingeführt. Bereits seit 2004 ist das Kopftuch ebenso wie andere Kleidungsstücke, die die Religionszugehörigkeit zur Schau stellen, an Schulen verboten. Regierungschef Manuel Valls schloss nicht aus, dass das Verbot auch auf Universitäten ausgeweitet werden könnte. Auch wenn Präsident François Hollande einem solchen Gesetz eine klare Absage erteilt hat, dürfte das Thema im Wahlkampf im kommenden Jahr mit Sicherheit wieder hochkochen.

Hatte sich doch der konservative Parteichef Nicolas Sarkozy bereits für ein Kopftuchverbot an Universitäten ausgesprochen. Und die für ihre Islam-feindlichen Parolen bekannte Marine Le Pen will das Kopftuch sogar ganz aus der Öffentlichkeit verbannen. Die Chefin des rechtsextremen Front National ging sogar so weit, Gebete der Muslime auf offener Straße mit der NS-Besatzung zu vergleichen.

Strikte Trennung von Staat und Religion

Für den Leiter des Beobachtungszentrums für religiöse Neutralität, Jean-Louis Bianco, besteht in den Universitäten jedoch gar kein Handlungsbedarf. In den vergangenen Jahren seien im Zusammenhang mit der Religionszugehörigkeit 140 Problemfälle an den Hochschulen gemeldet worden - nur gut 20 davon in Verbindung mit dem Kopftuch. "Wir haben es hier mit Erwachsenen zu tun. Man muss die Überzeugungen eines jeden respektieren", forderte er in der Zeitung "Le Parisien".

Seit 1905 herrscht in Frankreich die strikte Trennung von Staat und Religion, die "Laizität". Das bedeutet neben dem Kopftuchverbot an Schulen auch, dass es dort keinen Religionsunterricht gibt und dass der Staat keine Kirchensteuer erhebt. "Die religiöse Freiheit ist möglich, wenn jeder die Grundlagen des Gemeinwesens anerkennt, das sie ermöglicht", fasste der Politologe Laurent Bouvet in der Zeitung "Le Figaro" das Prinzip zusammen.

In der Praxis stößt die religiöse Freiheit gerade muslimischer Frauen allerdings schnell an ihre Grenzen. So wurde im vergangenen Jahr Latifa Ibn Ziaten, deren Sohn einem islamistischen Anschlag zum Opfer gefallen war, wegen ihres Kopftuchs ausgebuht, als sie bei einer Konferenz in der Nationalversammlung auftrat. Frauenministerin Laurence Rossignol verglich Kopftuchträgerinnen unlängst mit "amerikanischen Negern", die sich bewusst für die Sklaverei entschieden hätten. Wer für solche Frauen noch Mode mache, handele unverantwortlich, sagte sie an Modehäuser wie H&M oder Uniqlo gerichtet, die erfolgreich eigene Kollektionen für Musliminnen anbieten. Frankreichs populärste Feministin, Elisabeth Badinter, forderte daraufhin sogar einen Boykott solcher Modemarken.

Unterstützung bekam Badinter von Premierminister Manuel Valls, der das Kopftuch nicht als Modephänomen, sondern als Zeichen der Unterwerfung der Frau sieht. Der Sozialist, der besonders laut für die Laizität eintritt, forderte den Islam auf zu beweisen, dass er "vollständig mit den Werten der französischen Republik vereinbar" sei.

Mit solchen Bemerkungen riskiert der Regierungschef freilich, die islamfeindliche Stimmung, die seit den Anschlägen im vergangenen Jahr in Frankreich herrscht, noch weiter anzuheizen. Erst im März hatte der Anti-Rassismus-Ausschuss des Europarats kritisiert, dass der öffentliche Diskurs in Frankreich immer islamfeindlicher werde. Der neue "Kopftuchkrieg" führe nur dazu, die Muslime noch mehr zu Sündenböcken zu machen, schrieb auch das Magazin "Nouvel Obs": "Er zeigt die Neurosen einer französischen Gesellschaft, die frustriert ist, weil sie es nicht geschafft hat, seine Bürger verschiedener Kulturen zu integrieren."

(RP)
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