Istanbul Flüchtlings-Deal mit der Türkei steht auf wackeligen Beinen

Istanbul · Gut zehn Tage nach der Brüsseler Einigung zwischen EU und Türkei zur Senkung der Flüchtlingszahlen meldet die Uno einen deutlichen Rückgang von ankommenden Migranten in Griechenland. Funktioniert der Plan also? Die Zahlen sind nicht alles: Kernbereiche der Vereinbarung - die Rückführung von Menschen aus Griechenland in die Türkei und die legale Aufnahme von Flüchtlingen aus der Türkei durch die EU - stehen bisher nur auf dem Papier. Die Abmachung markiert nicht den Anfang vom Ende der Flüchtlingskrise, sondern lediglich das Ende vom Anfang des Versuchs, das Problem in den Griff zu bekommen.

Die Idee, die ungesteuerte und illegale Migration über die Ägäis durch die legale Übernahme einer begrenzten Zahl von Flüchtlingen aus der Türkei zu ersetzen, soll diesen Widerspruch auflösen. Allerdings bringt diese Lösung etwas mit sich, was vielleicht nicht alle EU-Politiker bedacht haben. Der Deal gibt der EU auch Verantwortung für das, was in der Türkei geschieht. Beispiel Afghanistan: Jeder vierte Flüchtling, der in Griechenland ankommt, stammt aus dem Krisenland. Nach der Rückführung aus Griechenland will die Türkei die Afghanen in ihre Heimat abschieben; laut Amnesty International hat Ankara schon damit begonnen, ohne dass die Betroffenen die Chance auf einen Asylantrag gehabt hätten. In der Logik von Brüssel kann die EU nicht sagen, dieses Vorgehen gehe sie nichts an. Durch die enge Verquickung der europäischen und der türkischen Rollen in der Flüchtlingsfrage ist die EU auch hier mit im Spiel. Europa hat sich auch für die menschenwürdige Unterbringung der Griechenland-Rückkehrer in der Türkei zu interessieren. Schon jetzt beherbergt das Land 2,75 Millionen Syrer sowie 300.000 Iraker, Afghanen und andere Flüchtlinge. Wie Ankara ab Anfang April auch noch Rückkehrer aus Griechenland unterbringen soll, weiß niemand. Wann die zugesagte Milliardenhilfe der EU anläuft, ist ebenfalls unklar. Dasselbe gilt für die Aufnahme von Syrern aus türkischen Camps durch die EU. Die türkische Regierung ist besorgt, dass sich die Europäer die Jungen und Gebildeten herauspicken werden. Doch vorerst streitet die EU noch darum, wie die Menschen auf das EU-Gebiet verteilt werden sollen.

Ohnehin könnte es sein, dass der Deal schon bald komplett kollabiert. Schon jetzt droht die türkische Regierung offen mit der Aufkündigung der Vereinbarung, falls sie nicht bekommt, was sie mehr will als alles andere: die - in der EU höchst umstrittene - Aufhebung des Visazwangs für Türken in Europa ab Juni. Zurücklehnen ist für die Europäische Union also keine Option. Die Arbeit an einer menschenwürdigen Lösung hat gerade erst begonnen.

(RP)
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