Analyse Zerbricht die EU an Deutschland?

Düsseldorf · Das Zentrum der Macht in Europa liegt faktisch im Kanzleramt - eine Vormachtstellung, mit der umzugehen man in Berlin noch nicht gelernt hat. Das verstärkt die Fliehkräfte, die an der Union zerren.

 Die Bundeskanzlerin gibt in Europa den Ton an. Kann das dauerhaft gut gehen?

Die Bundeskanzlerin gibt in Europa den Ton an. Kann das dauerhaft gut gehen?

Foto: dpa, h0 cs

Angela Merkels Sparpolitik ist mitverantwortlich für die Wahlerfolge des rechtsextremen Front National in Frankreich. Das sagt nicht irgendein frustrierter Politiker in Paris, sondern Sigmar Gabriel, SPD-Chef und Vizekanzler. Eine steile These, möchte man meinen, aber so denken in Europa viele. Freilich hätte Gabriel, der der Bundeskanzlerin bei seiner Parteitagsrede vor feixenden Genossen nonchalant vors Schienbein trat, der Fairness halber hinzufügen müssen, dass auch einige Vorstellungen deutscher Sozialdemokraten wie Wasser auf die Mühlen rechter Populisten in der EU wirken. In der Flüchtlingspolitik zum Beispiel.

Die Flüchtlingskrise ist nur das letzte Beispiel dafür, wie heftig Entscheidungen in Berlin auf den ganzen Kontinent durchschlagen können. So hat der massive Zustrom von Migranten zu einem tiefen Zerwürfnis mit den osteuropäischen Mitgliedsstaaten geführt, obwohl die Ukraine-Krise eigentlich nach engem Zusammenhalt verlangt. Er verschärft die Probleme im Krisenstaat Griechenland, und er hat den Austritt der Briten aus der EU, freundlich formuliert, nicht unwahrscheinlicher werden lassen. Das Schlimmste aber ist: Er wird als deutsches Diktat empfunden.

Kein Zweifel, Deutschland dominiert die EU. Dafür müssen wir uns nicht entschuldigen, die Rolle ist uns einfach zugefallen. Vor allem auch wegen der Schwäche Frankreichs. Der über Jahrzehnte gültige Deal, wonach Frankreich in einer engen deutsch-französischen Partnerschaft politisch den Ton angab, während sich Deutschland aufs ökonomische Bodybuilding konzentrierte, ist geplatzt. Frankreichs anhaltende wirtschaftliche Misere hat das Land politisch auf Normalmaß geschrumpft. In der Welt mag die Atommacht mit ihrem ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat noch stolz paradieren, ihre Diplomaten mögen noch glänzende Erfolge erringen wie unlängst bei der Pariser Klima-Konferenz. Doch das wahre Machtzentrum der EU liegt nicht im goldstrotzenden Elysée-Palast, sondern hinter den Betonmauern des Kanzleramts.

Diese Erkenntnis ist so neu nicht, trotzdem nimmt man in Berlin auf die Rolle als Europas Führungsmacht bis heute kaum Rücksicht. Die innenpolitische Sicht bleibt trotz gegenteiliger Lippenbekenntnisse bestimmend. Insgeheim wird vorausgesetzt, dass das, was für Deutschland gut ist, ja auch für die gesamte EU richtig sein muss. Das wirkt arrogant, auch wenn es gar nicht so gemeint ist. Und es hat eine zersetzende Wirkung auf das komplizierte Beziehungsgeflecht der EU.

Gerhard Schröder verkündete als Bundeskanzler einst im Basta-Tonfall, es müsse Schluss sein mit dem überholten Europa-Pathos seines Vorgängers Helmut Kohl; Deutschland werde künftig seine nationalen Interessen innerhalb der EU ebenso hart vertreten wie alle anderen auch. Doch damals, Ende der 90er Jahre, ahnte noch niemand, wie dominant Deutschland einmal werden würde.

Es war Schröders Außenminister, Joschka Fischer, der im Sommer öffentlich beklagte, auf dem Höhepunkt der Griechenland-Krise habe die Kanzlerin einen historischen Bruch mit der alten deutschen Europa-Politik vollzogen. Nicht wie bisher ein europäisches Deutschland sei nunmehr ihr Ziel, sondern ein deutsches Europa. Man mag auch diesen Vorwurf für überzogen halten, aber Tatsache ist, dass Fischer vielen in Europa aus der Seele gesprochen hat. Und selbst in jenen Ländern, die sich im Streit um die griechischen Schulden nur zu gerne hinter Deutschland versteckten, wächst die Sorge, dass die EU über kurz oder lang an Deutschlands Hegemonialstellung zerbrechen könnte.

Griechenland braucht nicht nur Kontrollen, sondern auch Wachstum
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"Ein schwarzes Kapitel in der europäischen Geschichte"

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Offensichtlich ist, dass die Union in ihrer Existenz durch einen Nord-Süd-Konflikt bedroht wird, der sie ökonomisch wie politisch in zwei Lager spaltet. Für das eine Lager sind unverantwortliche Regierungen in Südeuropa schuld an der ganzen Misere, und die wollen für ihre skandalöse Misswirtschaft jetzt auch noch mit Transferzahlungen belohnt werden. Für das andere Lager ist es das vom Sparen besessene Deutschland, das den Süden ökonomisch brachial umerziehen will. In Merkels Umfeld wird man zwar nicht müde zu betonen, wie sehr sich die Kanzlerin von morgens bis abends um den Zusammenhalt der EU sorgt. Mag sein. Aber man kann auch das Gute wollen und das Schlechte tun. In Merkels Fall geschieht das durch Unterlassung.

Die eklatante Schwäche der Bundeskanzlerin ist die Kommunikation auf der europäischen Bühne. Sie vermag es einfach nicht, auf die rasant wachsenden Sorgen mit einer kohärenten Idee von Europa zu antworten. Gewiss, Merkel ist kein Obama. Statt visionärer Reden hält sie lieber sachliche Referate. Das reicht für eine Bundeskanzlerin; für eine Politikerin, die in vielen Fragen faktisch den Kurs der EU bestimmt, reicht es nicht. Merkel müsste den Europäern erklären, dass Deutschland eben nicht ausschließlich seine nationalen Interessen verfolgt, sondern sich weiterhin verpflichtet fühlt, Europa zusammenzuhalten - auch wenn das von uns Opfer verlangt. Sie müsste sagen, dass sie zwar deutsche Ideen vertritt, aber kein Europa unter deutschen Vorzeichen erzwingen will, wo deutsche Sparvorgaben oberstes Gesetz sind und wo überall ungefragt das großzügige deutsche Asylrecht zu gelten hat.

Als das Bild vom hässlichen Deutschen wieder hochkam, als Protestplakate in Griechenland oder Spanien Angela Merkel und Wolfgang Schäuble als SS-Schergen zeigten, löste das hierzulande Bestürzung aus. Aber man sollte diese antideutschen Ressentiments, so ungerecht und inszeniert sie auch sein mögen, in Berlin als Ansporn verstehen. Gewiss, die neue Führungsrolle in Europa endlich in aller Konsequenz anzunehmen, ist eine schwere, eine undankbare Aufgabe. Aber es würde sich lohnen, auch für Deutschland.

(RP)
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