Péter Györkös "Wir haben Angst vor Muslimen"

Ungarns Botschafter verteidigt die Weigerung seines Landes, muslimische Flüchtlinge aufzunehmen. Eine finanzielle Hilfe sei aber denkbar.

 Ungarns Botschafter in Berlin Peter Györkös.

Ungarns Botschafter in Berlin Peter Györkös.

Foto: Hans-Juergen Bauer

Würden Sie sagen, dass Ihr Ministerpräsident Viktor Orbán ein lupenreiner Demokrat ist?

Györkös Er ist ein Demokrat.

Was meint Orbán, wenn er einer "illiberalen Demokratie" das Wort redet?

Györkös Man muss wissen, dass das Wort "liberal" in Ungarn nicht so positiv besetzt ist wie vielleicht in anderen europäischen Ländern. Der politische Liberalismus gilt in Ungarn als diskreditiert. Und der ungarische Ministerpräsident nimmt in seinen politischen Äußerungen lediglich Rücksicht auf die ideologische Ausrichtung einer breiten Mehrheit in Ungarn - was sollte daran undemokratisch sein? Dass man Orbán dann sofort als glühenden Putin-Verehrer hingestellt hat, ist völlig abwegig.

Aber in seiner Weltsicht steht er Russlands Präsident Wladimir Putin doch sicher viel näher als Bundeskanzlerin Angela Merkel?

Györkös Nein, denn das würde doch bedeuten, dass uns in Ungarn Russland näher steht als Deutschland, und das ist eindeutig nicht der Fall. Ministerpräsident Orbán hat nur darauf hingewiesen, dass Europa sich in seiner heutigen Verfassung selber schwächt und dass man sich doch einmal anschauen sollte, wie Länder mit einem anderen politischen System, wie zum Beispiel Russland oder China, Erfolge erzielen können.

Es ist unbestritten, dass eine breite Mehrheit der Ungarn hinter Orbáns Politik steht. Sind die Ungarn eigentlich eingefleischte Nationalisten?

Györkös Ich würde sagen, wir pflegen einen gesunden Patriotismus.

Auch in der Flüchtlingskrise? Orbán hat klipp und klar gesagt, "wir wollen diese Menschen nicht bei uns haben". Warum eigentlich?

Györkös: Ganz ehrlich, wir haben gewisse Angst vor ihnen. Ich räume ein, meine Landsleute sind nicht unbedingt so weltoffen, wie man sich das vielleicht in anderen europäischen Ländern wünschen könnte. Dafür gibt es aber Gründe. Wir haben zwar in der Geschichte viel Einwanderung erlebt, aber immer aus unserer Region, nie aus dem muslimischen Kulturkreis. Und die 150 Jahre der osmanischen Herrschaft sind auch nicht in allzu guter Erinnerung geblieben. Die Ungarn sind nicht so naiv romantisch wie diejenigen, die glauben, die Integration der muslimischen Flüchtlinge ließe sich mal eben so schaffen. Das ist eine fragliche Vision, die in Europa von linksliberalen Parteien verbreitet wird ...

Parteien wie der CDU?

Györkös Das haben Sie gesagt! Ministerpräsident Orbán hat jedenfalls klargemacht, dass er diese verfehlte Politik in Europa mit aller Kraft bekämpfen wird. Er ist überzeugt davon, dass eine massive muslimische Einwanderung in christlich geprägte Gesellschaften nicht gut gehen kann, dass in solchen Fällen am Ende der Islam innerhalb Europas die Oberhand gewinnen wird. Das wollen wir auf gar keinen Fall.

Orbán hat auch gesagt, die Flüchtlinge seien ein deutsches Problem ...

Györkös Wir wissen, dass mehr als 90 Prozent dieser Menschen, die bei uns ankamen, in Wirklichkeit nach Deutschland wollten. Und das kann man ja auch verstehen. Sie reden jetzt in Deutschland darüber, Milliarden für Wohnungsbauprogramme auszugeben, sie reden über Bildungsangebote und Integration in den Arbeitsmarkt. Da ist es doch kein Wunder, dass alle zu Ihnen wollen! Aber natürlich ist Deutschland so groß und wichtig, dass die deutschen Probleme irgendwie immer auch zu europäischen Problemen werden.

Und was ist mit der europäischen Solidarität? Wäre Ungarn nicht - wie übrigens allen anderen EU-Länder - verpflichtet, Deutschland dabei zu helfen, den Ansturm der Flüchtlinge zu meistern?

Györkös Das ist der Punkt: Wir haben mit Deutschland einen klaren Dissens, was die Analyse der Ursachen wie auch die zu ergreifenden Maßnahmen angeht. Wir glauben: Es handelt sich in Wahrheit nicht um eine Flüchtlingskrise, sondern um Einwanderung. Es ist eine Völkerwanderung mit grenzenlosem Nachschubpotenzial. Das Problem ist, dass wir nicht genau wissen, wie viele Menschen nach Europa kommen wollen. Und solange wir nicht wenigstens die Kontrolle über diesen Zustrom zurückerlangt haben, brauchen wir über die Verteilung von Flüchtlingen gar nicht erst zu reden.

Noch einmal zurück zum 6. September, als Merkel tausenden Flüchtlingen aus Ungarn die Einreise gestattete. Hatte sie denn überhaupt eine andere Wahl, hat sie nicht doch richtig entschieden?

Györkös Nein, sie hat menschlich entschieden. Die Probleme, die sind schon im Vorfeld dieser Entscheidung und vor allem auch danach entstanden.

Aber mal ganz ehrlich, hat Merkel Ungarn mit der Grenzöffnung nicht einen Dienst erwiesen, wurde damit nicht eine Tragödie vermieden?

Györkös So wurde das in Deutschland dargestellt. Ich glaube eher, dass da von interessierten Kreisen ganz bewusst eine humanitäre Notlage am Bahnhof von Budapest inszeniert wurde ...

"Interessierte Kreise"?

Györkös Ja, die Menschenschmuggler natürlich, die durch unsere Entscheidung zur Grenzschließung ihre lukrativste Route nach Nordeuropa bedroht sahen.

Und selbst wenn: Das Leid der Menschen war doch echt?

Györkös Machen wir uns doch nichts vor, Grenzsicherung ist kein schönes Geschäft. Aber anders geht es nicht, wenn wir Schengen retten wollen, und wir wollen genau das. Die Spanier haben es vor einigen Jahren auch nur mit Härte geschafft, die Einwanderung in ihre nordafrikanischen Enklaven und auf die Kanarischen Inseln zu stoppen. Aber damit es erst gar nicht dazu kommt, ist die Botschaft so wichtig, dass die EU dazu bereit und in der Lage ist, ihre Außengrenzen zu schützen. Es geht dabei ganz klar auch um Abschreckung. Viele sind doch gar keine Kriegsflüchtlinge, sondern junge, kräftige Männer, die gerne auch an Europas Wohlstand teilhaben möchten. Das kann man ihnen ja nicht einmal verdenken. Aber sollen wir sie deshalb alle hereinlassen? Unsere Priorität ist eindeutig: Grenzkontrolle, Bekämpfung der Fluchtursachen und Hilfe für die Menschen in den Krisenregionen.

Was halten Sie von der Forderung, EU-Zahlungen an jene Staaten zu kürzen, die sich an der Aufnahme von Flüchtlingen nicht beteiligen?

Györkös: Das ist vor allem der Versuch, die osteuropäischen Länder an den Pranger zu stellen. Dabei sind es längst nicht nur wir im Osten der EU, die diese Vorstellungen nicht teilen. Selbst EU-Parlamentspräsident Martin Schulz hat unlängst von mindestens 20 EU-Staaten gesprochen, die keine Migranten aufnehmen wollen. 20 von 28, das sagt doch schon viel, und sicher nicht nur "Osteuropäer". Aber wir würden trotzdem unseren Beitrag leisten, unter der Bedingung, dass wir in Brüssel gemeinsam über finanzielle Hilfen der EU für jene Länder reden, die sich dieser Aufgabe gerne freiwillig stellen wollen.

Sie würden dafür bezahlen, dass Deutschland die Flüchtlinge aufnimmt?

Györkös: Wenn Sie so wollen. Solidarität kann man in verschiedenen Formen ausdrücken. Wir leisten ja schon indirekt unseren finanziellen Beitrag, indem wir Personal zur Grenzsicherung bereitstellen (in Ungarn, in Slowenien, in Mazedonien) und die grüne Grenze durch einen Zaun befestigt haben. Ungarische Soldaten sind im Irak und in Afghanistan im Einsatz, um dort gegen die Ursachen der Flüchtlingskrise zu kämpfen. Es ist ja nicht so, dass Ungarn nichts tut.

MATTHIAS BEERMANN FASSTE DAS GESPRÄCH ZUSAMMEN.

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(RP)
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