Türkei, EU und die Visafreiheit Die Flüchtlingskrise kehrt zurück

Düsseldorf · Nach dem Putschversuch stieg die Zahl der Flüchtlinge aus der Türkei wieder. Nun droht Ankara mit einem Bruch des Abkommens mit der EU, wenn für Türken nicht die Visafreiheit kommt.

 Die Grafik zeigt auszugsweise, welche Bedingungen von der Türkei schon erfüllt wurden und welche nicht.

Die Grafik zeigt auszugsweise, welche Bedingungen von der Türkei schon erfüllt wurden und welche nicht.

Foto: Ferl

Mit scharfen Worten haben deutsche und europäische Politiker die Drohung der Türkei zurückgewiesen, das Flüchtlingsabkommen mit der EU aufzukündigen, wenn bis Mitte Oktober der Visa-Zwang für Türken nicht aufgehoben werde. "Es bringt jetzt nichts, sich gegenseitig Ultimaten zu stellen und zu drohen", sagte Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) unserer Redaktion. Die Bedingungen für die Visafreiheit seien allen Seiten bekannt, hier habe "die Türkei noch Arbeit vor sich". SPD-Chef Sigmar Gabriel sagte: "In keinem Fall darf sich Deutschland oder Europa erpressen lassen." CDU-Vize Thomas Strobl unterstrich: "Erpressung ist kein Mittel der Politik."

Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu hatte der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" gesagt: "Wenn es nicht zu einer Visa-Liberalisierung kommt, werden wir gezwungen sein, vom Rücknahmeabkommen und der Vereinbarung vom 18. März Abstand zu nehmen." Es könne Anfang oder Mitte Oktober sein, "aber wir erwarten ein festes Datum", bekräftigte der Minister, nachdem auch Präsident Recep Tayyip Erdogan das Ende der Visapflicht angemahnt hatte.

Im Abkommen vom 18. März waren Rücknahmen illegaler Migranten aus Griechenland im Gegenzug zur Abnahme syrischer Flüchtlinge aus der Türkei vereinbart. Zugleich sollte die Türkei sechs Milliarden Euro Hilfen erhalten, wenn Ankara die Flüchtlingsbewegung über die Ägäis stoppt. Schließlich sagte die EU den Türken Visafreiheit zu. Das war jedoch an die Erfüllung von 72 Bedingungen geknüpft, von denen einige unerfüllt sind.

"Die Türkei weiß genau, dass sie ihre Hausaufgaben noch nicht gemacht hat", sagte der Vizepräsident des EU-Parlaments, Alexander Graf Lambsdorff (FDP). Anstatt über die Medien Drohungen auszustoßen, solle Ankara besser ausloten, welcher Weg gangbar sei, "sonst stehen am Ende beide Seiten als Verlierer da", erklärte Lambsdorff. Offenbar gelinge es aber auch der Bundesregierung nicht, in dieser heiklen Lage die Gemüter zu beruhigen. "Jetzt ist Diplomatie gefragt, nicht Gepolter."

Der Vorsitzende des Bundestags-Europa-Ausschusses, Gunther Krichbaum, bekräftigte die Möglichkeit einer Visafreiheit, warnte die Türkei mit Blick auf die Geldleistungen der EU jedoch auch: "Mit ihren Drohungen setzt die Türkei weitaus mehr aufs Spiel als ein Flüchtlingsabkommen." Die EU sei neben den Finanzhilfen zur Visafreiheit bereit, wenn die Voraussetzungen erfüllt seien, erklärte der CDU-Politiker. Hier müsse die Türkei noch liefern. Das setze eine Revision des sogenannten Terrorismusbekämpfungsgesetzes voraus. Das werde zunehmend dazu missbraucht, unliebsame Personen und Andersdenkende zu verfolgen.

In Griechenland wächst die Sorge vor einem neuen Anschwellen des Flüchtlingsstroms. Bereits vor der Drohung des türkischen Außenministers war eine Zunahme der Zahl der Flüchtlinge verzeichnet worden. Deren Zahl war von über 2000 täglich auf durchschnittlich 35 zurückgegangen.

Nach dem Putschversuch stieg sie vorübergehend auf fast 100. Aufmerksam registriert wurde zudem, dass Erdogan sieben Beobachter zurückrief, die für die Umsetzung der Vereinbarung mit der Europäischen Union nach Griechenland entsandt worden waren.

Wegen der schweren Kämpfe mit der IS-Terrormiliz im Irak befürchtet das Rote Kreuz bis zu eine Million neue Flüchtlinge. Aus Nordafrika waren seit Jahresbeginn bereits mehr als 70.000 Flüchtlinge über das Mittelmeer gekommen.

(brö)
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