Verhandlungen mit der Türkei EU-Staaten einigen sich auf Eckpunkte für Flüchtlings-Deal

Brüssel · Die EU-Staaten haben sich auf eine gemeinsame Position für die Verhandlungen mit der Türkei geeinigt. Der türkische Premierminister Davutoglu zeigte sich vor dem Gipfeltreffen optimistisch, dass man ein Abkommen zur Flüchlingskrise auf den Weg bringe und die EU-Türkei-Beziehungen vertiefe.

Angela Merkel, der dänische Premierminister Lars Lokke Rasmussen und der niederländische Premierminster Mark Rutte diskutieren beim Gipfeltreffen in Brüssel.

Angela Merkel, der dänische Premierminister Lars Lokke Rasmussen und der niederländische Premierminster Mark Rutte diskutieren beim Gipfeltreffen in Brüssel.

Foto: dpa, h0 jak

Die EU setzt zur Eindämmung der Flüchtlingskrise auf den umstrittenen Pakt mit der Türkei: Der Gipfel einigte sich in der Nacht zum Freitag trotz großer Vorbehalte auf eine gemeinsame Position, auf deren Grundlage am Freitag ein Abkommen mit dem türkischen Regierungschef Ahmet Davutoglu erzielt werden soll. "Ich kann nicht garantieren, dass ein Abschluss glückt", warnte Frankreichs Staatschef Francois Hollande allerdings vor zu großem Optimismus.

Und ein EU-Diplomat schränkte ein, es gebe in dem Text-Entwurf für die Erklärung der EU mit der Türkei immer noch einige Elemente, die nicht für alle 28 EU-Staaten hinnehmbar seien.

Ankara hat angeboten, alle neu auf den griechischen Inseln eintreffenden Flüchtlinge zurückzunehmen. Im Gegenzug soll die EU für jeden so abgeschobenen Syrer einen syrischen Flüchtling aus der Türkei auf legalem Wege aufnehmen.

Dies sei "eine gute Möglichkeit, Schleppern das Handwerk zu legen", warb Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) für den Pakt. Zugleich machte sie eine Bedingung der EU klar: Die Abschiebung der Flüchtlinge in die Türkei müsse auf einer soliden rechtlichen Grundlage stehen, für jeden Flüchtling müsse ein "individuelles Prüfverfahren" sichergestellt sein.

Sollte auch Davutoglu am Freitag die geforderte Garantie geben, dass die zurückgenommenen Flüchtlinge gemäß internationaler Konventionen geschützt und nicht in gefährliche Regionen abgeschoben werden, soll es nach den Worten der Kanzlerin "doch recht schnell" gehen und "nicht mehr viele Wochen dauern", bis der Pakt in die Tat umgesetzt wird. Bereits am Sonntag könnte die Umsetzung beginnen.

Allerdings sind die Herausforderungen noch enorm: Auf den griechischen Inseln müssten unter Hochdruck Rechtsexperten und Richter ihre Arbeit aufnehmen, um die Anträge zu bearbeiten. Deutschland werde sich mit Personal daran beteiligten, sagte Merkel. Für die Rückführungen in Schiffen soll das Flüchtlingshilfswerk UNHCR eng eingebunden werden.

Weiter Herausforderung: Ankara pocht darauf, dass die EU wenige Tage nach den ersten Rückführungen in die Türkei die ersten Syrer von dort aufnimmt - auch dies ist noch nicht vorbereitet.

Zwar sind nach Angaben Merkels bis auf Ungarn alle EU-Staaten bereit, im Rahmen eines schon vereinbarten Umsiedlungsprogramms die zugesagten Kontingente zu akzeptieren. Allerdings gilt dies zunächst nur für 18.000 Flüchtlinge, die Zahl könnte schnell erreicht sein.

Auch angesichts der Tatsache, dass die EU-interne Aufteilung von Flüchtlingen bisher kaum in Gang gekommen ist, könnte es schwer werden, Davutoglu zu überzeugen. "Ob etwas herauskommt, weiß nur ein Hellseher", unkte Österreichs Kanzler Werner Faymann.

Für den türkischen Regierungschef Ahmet Davutoglu begann der Tag in Brüssel früh. Am Freitag traf er sich um 8.30 Uhr mit EU-Gipfelchef Donald Tusk, EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker und dem niederländischen Ministerpräsidenten Mark Rutte, dessen Land gerade den Vorsitz der EU-Staaten innehat.

Kurz vor dem Treffen äußerte Davutoglu die Hoffnung, dass es möglich sei, mit der EU eine gemeinsame Basis in der Frage der Flüchtlinge zu finden: "Ich bin sicher, dass wir unser Ziel erreichen werden, sowohl allen Flüchtlingen zu helfen als auch die Türkei-EU-Beziehungen zu vertiefen", sagte Davutoglu vor den Beratungen. Das sei "eine gute Nachricht für unseren Kontinent und die Menschlichkeit insgesamt".

Die Türkei fordert von der EU im Zuge des Abkommens das Ende der Visapflicht für Türken bei Reisen in die EU. Auch die Wiederaufnahme der Beitrittsgespräche und Finanzhilfen stehen zur Diskussion. "Für uns, für die Türkei ist das Flüchtlingsthema keine Frage des Handelns, sondern ein Thema von Werten - sowohl von humanitären Werten als auch von europäischen Werten." Die Türkei habe 2,7 Millionen Flüchtlinge alleine aus Syrien aufgenommen, "ohne irgendwoher signifikante Unterstützung zu erhalten", sagte Davutoglu weiter.

Härtere Töne kamen von Ankaras Europaminister: Die türkische Regierung habe schon beim letzten Gipfel am 7. März deutlich gemacht, dass der Vorschlag zur Flüchtlingsrücknahme nur umgesetzt werden könne, "wenn alle Bedingungen von der EU akzeptiert werden", sagte Volkan Bozkir der Zeitung "Daily Sabah", der englischen Ausgabe des regierungsfreundlichen türkischen Blattes "Sabah". "Im Falle einer teilweisen Annahme wird der Deal vom Tisch sein", fügte Bozkir hinzu.

Die Hoffnung ist, dass die EU-Spitzenvertreter mit Davutoglu eine für alle tragbare Einigung aushandeln. Beim Mittagessen mit allen 28 EU-Chefs, das für 13 Uhr angesetzt ist, soll dann eine gemeinsame Türkei-EU-Erklärung verabschiedet werden.

Der angestrebte Pakt ist aus mehreren Gründen umstritten: Neben den Bedenken, die Rückführungen könnten gegen internationale Asylschutzregeln verstoßen, geht es dabei vor allem um weitere Wünsche Ankaras: Die Aufhebung des Visa-Zwangs für türkische Bürger bis zum Juni und die Beschleunigung der EU-Beitrittsverhandlungen. "Über jeden Punkt wird mit Davutoglu verhandelt werden müssen", sagte ein hoher EU-Diplomat.

Diskussionen gab es unter den Staats- und Regierungschefs unter anderem über die Frage, welche politischen Zugeständnisse der Türkei gemacht werden können. Die Türkei fordert die Ausweitung der EU-Beitrittsverhandlungen. Die Regierung Zyperns will dem aber nur zustimmen, wenn Ankara Zugeständnisse im seit Jahrzehnten schwelenden Zypernkonflikt macht.

Laut Merkel ist immerhin kein neuer Streit um Geld zu erwarten. Von der EU gebe es "die grundsätzliche Bereitschaft", die von Ankara verlangten zusätzlichen drei Milliarden Euro zur Unterstützung von Flüchtlingen in der Türkei aufzubringen.

Jubelstimmung dürfte in Brüssel aber auch dann nicht aufkommen, wenn Davutoglu die EU-Bedingungen akzeptiert. "Ein Befreiungsschlag ist es, wenn der Krieg in Syrien zu Ende ist und der Terror aufhört", sagte Faymann. "Alles andere sind Notmaßnahmen."

Hollande mahnte auch mit Blick auf das nordafrikanische Libyen, über das sich inzwischen wieder täglich mehr Menschen Richtung Europa aufmachen. "Es wird immer Flüchtlingsbewegungen geben."

Bei Politikern und Aktivisten stößt das Abkommen auf unterschiedliche Reaktionen. Der Fraktionsvorsitzende der Europäischen Volkspartei (EVP) im Europäischen Parlament, Manfred Weber (CSU), hat die Verständigung der EU-Regierungschefs auf ein Abkommen mit der Türkei als Erfolg gewertet.

Die 28 Mitgliedsstaaten hätten sich endlich "zusammengerauft", sagte er am Freitag im ZDF-Morgenmagazin mit Blick auf den EU-Gipfel in Brüssel. Er sei zuversichtlich, dass die weiteren Gespräche mit der Türkei zu einer Einigung führten. "Jetzt muss Ankara liefern", sagte Weber.

Die Grünen-Vorsitzende Simone Peter lehnt hingegen die geplante Vereinbarung mit der Türkei ab. Im Südwestrundfunk sprach sie von einem "Deal auf sehr wackligen Füßen". Die Türkei sei ein Vertragspartner, der nicht seriös sei und nicht die Werte der EU teile. Peter wörtlich: "Dieser Deal bleibt auf der halben Strecke hängen", weil die Menschen eben doch Fluchtwege suchen müssten, sich doch den Schleppern ausliefern müssten, weil die Kontingente viel zu klein seien und weil die Menschenrechte nicht eingehalten würden.

Auch die neue Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Bärbel Kofler (SPD) äußerte sich kritisch: "Es kann auf keinen Fall sein, dass ganze Gruppen von Menschen aufgrund ihrer Herkunft kein Recht auf Asyl mehr genießen dürfen. Das individuelle Recht auf Asyl muss gewahrt bleiben", sagte sie dem Hessischen Rundfunk.

Der Geschäftsführer von Pro Asyl, Günter Burkhardt, sprach von einem "bitteren Tag". Die EU verkaufe die Menschenrechte von Flüchtlingen an die Türkei. In Griechenland drohten nun Pro-forma-Verfahren mit anschließender Masseninhaftierung und Massenabschiebung.

"Das Flüchtlingsrecht und die Menschenrechtskonvention werden ausgehebelt und verbogen", sagte Burkhardt weiter. "Griechenland wird zum Asyllager der EU, die Türkei zum Vorposten. Das ist eine moralische und rechtliche Bankrotterklärung. Vom Europa der Werte haben wir uns nun zum Europa der Zäune entwickelt."

(rent/dpa/AFP/KNA)
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