Vor dem Referendum in Großbritannien So denken deutsche Chefs über den Brexit

Düsseldorf · Am Donnerstag stimmt Großbritannien über seine Mitgliedschaft in der Europäischen Union ab. Unsere Redaktion hat Spitzenkräfte der Wirtschaft gefragt, wie sie die Konsequenzen eines britischen EU-Austritts beurteilen.

Was deutsche Chefs über den Brexit sagen
7 Bilder

Was deutsche Chefs über den Brexit sagen

7 Bilder
Foto: Endermann, Andreas

Die Entscheidung rückt näher: Am kommenden Donnerstag wird in Großbritannien über die Mitgliedschaft in der Europäischen Union abgestimmt. Ein Austritt der zweitgrößten Wirtschaftsmacht Europas hätte vielfältige Konsequenzen. Aber viele Unternehmen hoffen, dass selbst dann in der zweijährigen Übergangszeit noch vieles geregelt werden könnte, um Auswirkungen zu mildern.

Sollte das Vereinigte Königreich tatsächlich austreten, wären die Auswirkungen auf die einzelnen Branchen und deren Beziehungen zu Großbritannien sehr unterschiedlich. Wir haben Spitzenkräfte aus mehreren Bereichen der deutschen Wirtschaft nach ihrer Einschätzung gefragt.

"Es wäre ein hohes Risiko für Großbritannien, den Weg zu einer Desintegration zu wählen. Historisch gesehen, ist Europa ja eher auf dem Weg zu einer höheren Integration. Auch Norwegen und die Schweiz haben sich der EU immer weiter angenähert, ohne der Gemeinschaft beizutreten. Die bewegen sich auf Europa zu, die Briten würden sich wegbewegen. Aber trotzdem sollte die EU beweglicher werden, sich reformieren und weniger detailreich regulieren. Ich kann manche Kritik nachvollziehen."

"Ein britischer Austritt würde eine hohe Rechtsunsicherheit für die Wirtschaft bedeuten. Gerade deutsche Unternehmen wären dramatisch betroffen. Als Folge würden Investitionen stark schrumpfen. Wahrscheinlich würde es auch wieder Zölle und Quoten im Handel mit dem Rest der EU geben. Deutschland ist das wichtigste Lieferland Großbritanniens und zweitwichtigster Absatzmarkt für britische Produkte. Ohne EU-Mitgliedschaft setzen die Briten Investitionen, Wohlstand und Arbeitsplätze aufs Spiel. Und wir brauchen sie, um strukturelle Reformen durchzusetzen, wettbewerbsfähiger zu werden und den Zugang zu neuen Märkten zu erschließen."

"Wir hoffen, dass die Bürger in Großbritannien mit deutlicher Mehrheit für einen Verbleib in der EU stimmen. Gerade jetzt, wo sich die Konjunktur in Europa zaghaft erholt, wäre ein Austritt ein schlechtes Signal für die weitere Entwicklung."

"Aufgrund der unterdurchschnittlichen Verflechtungen im Güterverkehr mit Großbritannien sehe ich keine sofortigen katastrophalen Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt. Die Wirkungen auf den Finanzsektor wären gravierender. Für Europa insgesamt wäre der Austritt ein schlechtes Zeichen."

"Die Unsicherheit ist das größte Hemmnis für Wirtschaft und Kapitalmärkte. Vor der Abstimmung, aber natürlich erst recht, sollte es zum Brexit kommen. Welche wirtschaftlichen Folgen der EU-Austritt tatsächlich haben wird, stellt sich erst nach den Verhandlungen heraus, also viel später. Klar ist nur, dass der Austritt Großbritannien und Europa gleichermaßen beschädigt. Unternehmen müssen ihre Geschäftsmodelle überprüfen, das Verhältnis zu Großbritannien muss neu definiert werden. Das bräuchte Zeit, viel Zeit, die wir im globalen Wettbewerb nicht haben."

"Ein Brexit würde für die Wirtschaft große Unsicherheit bringen, und die ist in jedem Industriezweig nachteilig für das Geschäft und für unternehmerische Entscheidungen. Unsere britische Tochter Tui ist heute etwa so groß wie die Tui Deutschland. Wenn das Pfund abwertet, verlieren die Briten an Kaufkraft, der Urlaub würde für sie teurer. Es gibt viele gute Argumente, für Europa zu stimmen - auch wenn nicht alles perfekt ist. Ich hoffe, die Briten entscheiden sich gegen den Brexit und für das gemeinsame Europa."

(anh/gw/mar/rky)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort