Österreichs Außenminister Sebastian Kurz "Wir dürfen nicht mehr durchwinken"

Wien · Der österreichische Außenminister Sebastian Kurz fordert im Interview mit unserer Redaktion einen gemeinsamen Schutz der europäischen Außengrenzen durch alle EU-Länder. Wir haben mit ihm gesprochen.

 Sebastian Kurz ist mit 29 Jahren Europas jüngster Außenminister.

Sebastian Kurz ist mit 29 Jahren Europas jüngster Außenminister.

Foto: dpa / Tatyana Zenkovich

Europas jüngster Außenminister Sebastian Kurz (29) gilt in der konservativen Österreichischen Volkspartei (ÖVP) als Hoffnungsträger. Im Interview spricht er nicht nur über die Flüchtlingskrise, auch die möglichen Folgen des Brexit beschäftigen ihn. Kurz ist ein eher unprätentiöser Typ. Fürs Interview lässt er sich nicht vom Vorzimmer durchstellen, sondern ist gleich persönlich in der Leitung.

Herr Kurz, die neue britische Regierungschefin May ist entschlossen, den Brexit zu vollziehen. Fürchten Sie, dass weitere EU-Länder folgen?

Kurz Der Brexit bedeutet eine Schwächung der Europäischen Union. Ich gehe nicht davon aus, dass weitere europäische Staaten folgen werden. Der Brexit muss uns aber wachrütteln und dafür sorgen, dass wir die Europäische Union stärker aufstellen.

Haben Sie keine Sorge vor dem "Öxit" angesichts der Europaskepsis in Ihrem Land?

Kurz Wir haben eine ähnliche Situation wie in Deutschland: Wir haben einige Bürger, die europakritisch sind, aber gleichzeitig eine klare pro-europäische Mehrheit. Als meine Aufgabe sehe ich es an, dass sich die Europäische Union weiter zum Positiven entwickelt und die Zahl der Befürworter wieder deutlich steigt. Das Friedensprojekt alleine ist insbesondere der jüngeren Generation zu wenig. Wir brauchen eine handlungsfähige starke Union, die in den großen Fragen Lösungen zustande bringt. Dann wird auch das Vertrauen in der Bevölkerung wieder wachsen.

Wie wäre es mit mehr Rechten fürs Parlament, weniger für die Kommissare?

Kurz Gestärkt wird die EU, wenn wir aktuelle Krisen lösen. Das wichtigste Thema für die Brexit-Befürworter war die Migrations- und Flüchtlingskrise. Insofern benötigen wir keine Theorie-Debatte, wie die Europäische Union in 30 Jahren aussehen sollte. Vielmehr müssen wir akute Herausforderungen bewältigen. Das würde der EU Glaubwürdigkeit zurückgeben.

Ein Dreh- und Angelpunkt für die aktuelle Akzeptanz Europas ist der Umgang mit der Flüchtlingskrise. Wird es dauerhaft so bleiben, dass nur noch wenige Flüchtlinge nach Europa gelangen?

Kurz Dass es wenige sind, würde ich nicht unterschreiben. Vielmehr gelangen weniger Flüchtlinge nach Europa als im vergangenen Herbst. Die Zahlen in Österreich sind immer noch zu hoch. Immer noch zu viele Menschen stellen in Österreich einen Asylantrag.

Rechnen Sie damit, dass das EU-Türkei-Abkommen Bestand haben wird?

Kurz Ob die Flüchtlingszahlen in Europa wieder steigen werden, hängt von uns ab. Im vergangenen Jahr haben sich auch sehr viele Menschen auf den Weg gemacht, weil es ein Durchkommen nach Mitteleuropa gab. Viele sahen die Chance, nach Deutschland, Österreich oder Schweden zu kommen, um dort ein besseres Leben anzufangen. Wenn wir die Außengrenzen der Europäischen Union schützen, wenn wir Menschen, die sich illegal auf den Weg nach Europa machen, an der Außengrenze stoppen, dann wird es unattraktiver sein, sich auf den Weg nach Europa zu machen, und weniger Menschen werden es versuchen.

Sollte das Schengener Abkommen reformiert werden, um flexibler reagieren zu können, wenn wieder mehr Flüchtlinge nach Europa kommen sollten?

Kurz Ich bin ein Pro-Europäer. Ich bin ein junger Mensch, der in einem Europa ohne Grenzen aufgewachsen ist. Mein Ziel sind nicht nationale Grenzkontrollen. Mein Ziel ist ein Europa mit funktionierenden Außengrenzen. Wir müssen unsere Priorität darauf legen, dass alle Staaten in der EU gemeinsam den Schutz der Außengrenze zustande bringen. Wir dürfen Italien und Griechenland nicht alleine lassen. Wir Europäer müssen klarmachen, dass, wer illegal nach Europa kommt, nicht nach Mitteleuropa durchgewunken wird. Wenn wir das schaffen, dann sind wir auch nicht mehr von der Türkei und einem Deal mit der Türkei abhängig. Dann haben wir die Lage selbst unter Kontrolle. Parallel sollten wir die Hilfe für die Herkunftsländer der Flüchtlinge massiv ausbauen.

Welche konkreten Maßnahmen sind notwendig, damit sich Europa selbst schützen kann?

Kurz Es braucht die Bereitschaft der EU-Staaten, einen Beitrag zu leisten. Die Bereitschaft sehe ich weitgehend gegeben. Insofern bin ich zuversichtlich, dass es uns gelingen wird, so wie es gerade auf europäischer Ebene angedacht wird, für den Grenzschutz eine eigene Behörde zu schaffen oder Frontex zu stärken.

Ist Österreich weiter darauf vorbereitet, den Brenner zu schließen - zum Beispiel, wenn Sie Ihre Flüchtlingsobergrenze im Herbst erreicht haben?

Kurz Selbstverständlich sind wir auf Grenzkontrollen vorbereitet, auch wenn wir uns der historischen Sensibilität des Brenners bewusst sind. Es gibt die Möglichkeit von Grenzkontrollen und nationalen Maßnahmen, um eine Überforderung unseres Landes abzuwehren. Das ist nicht unser Wunschszenario. Wir wollen funktionierende europäische Außengrenzen. In Deutschland hat es ja viel Aufregung um unsere Grenzkontrollen gegeben. Da möchte ich betonen, dass Deutschland derzeit Grenzkontrollen zu Österreich durchführt.

(qua)
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