Ukraine-Referendum Niederländer machen Front gegen Europa

Amsterdam · Heute stimmen die Niederländer über das EU-Assoziierungsabkommen mit der Ukraine ab. Hinter dem Referendum steckt Protest gegen zu wenig Mitbestimmung in Europa. Bringt das kleine Land etwa das Abkommen zum Kippen?

 Harry van Bommel, Mitglied der Sozialistischen Partei (SP) verteilt mit Parteifreunden in Den Haag Flugblätter gegen das Abkommen mit der Ukraine.

Harry van Bommel, Mitglied der Sozialistischen Partei (SP) verteilt mit Parteifreunden in Den Haag Flugblätter gegen das Abkommen mit der Ukraine.

Foto: dpa, ase

Auf der Haarlemmerstraat, im Herzen von Amsterdam, gibt es einen kleinen Crêpe-Laden. Eigentümer Stefan Berger zaubert dort jedwede Variation der französischen Pfannkuchen. Genauso gerne wie er hinter der Crêpière steht, spricht Berger aber mit seinen Kunden – mal über das Wetter, mal über die Niederlande, mal über das Leben. Dieses Mal geht es um Politik.

Das Referendum? Ja, davon habe er natürlich gehört. Und was er davon halte? Berger grinst, dreht sich um, kramt in einem Mülleimer, findet, was er gesucht hat, und zeigt das Informationsschreiben dazu, das jeder Niederländer in den vergangenen Tagen von der Gemeinde zugeschickt bekommen hat. Eine Farce, meint Berger.

Nur die Niederlande haben noch nicht zugestimmt

Am heutigen Mittwoch soll es stattfinden: das große Referendum. Im konkreten Fall geht es um das Assoziierungsabkommen zwischen der EU und der Ukraine. 323 Seiten zählt das Vertragswerk. Auf 306 Seiten geht es fast ausschließlich um Handel, etwa um Arbeitnehmerfreizügigkeit oder die Abschaffung von Importzöllen. Hinzu kommen Regelungen für visumfreie Reisen und Forderungen nach einer Angleichung der Rechtssysteme an europäische Normen. 27 EU-Mitgliedstaaten haben dem Abkommen zugestimmt. Nur die Niederlande noch nicht.

Dass dem so ist, dafür ist unter anderem Bart Nijman verantwortlich. Nijman schreibt für den provokant-satirischen Weblog "Geenstijl" ("kein Stil"). Nachdem im April 2015 die niederländische Zweite Kammer das Abkommen mit der Ukraine durchgewinkt hatte, beantragten die Initiatoren von "Geenstijl" gemäß niederländischem Recht ein Referendum über das Abkommen.

Der Wahlrat stimmte dem Antrag zu und gab bekannt, dass 300.000 Unterschriften nötig seien. "Wir hatten sechs Wochen Zeit", sagt Bart Nijman. Aus "Geenstijl" ging die Kampagne "Geenpeil" ("keine Umfrage") hervor. Nach fünf Wochen und drei Tagen waren die 300.000 erreicht. Letzten Endes kamen 427.939 gültige Unterschriften zusammen. Damit war die Regierung verpflichtet, binnen sechs Monaten ein Referendum zu organisieren.

"Für viele Ukrainer ist dieses Abkommen ein Symbol für Europa"

Seitdem rühren vor allem die Gegner des Abkommens kräftig die Werbetrommel. Auf politischer Seite sind die Sozialisten, die PvdD (Partei für die Tiere) und die "Freiheitspartei" – bekannt durch Rechtspopulist Geert Wilders – gegen das Abkommen. Dazu gesellen sich einige kleine Anti-EU-Bewegungen. Eine von ihnen bedruckte etwa Toilettenpapier mit Halbwahrheiten über die Ukraine und verbreitete die Rollen im Den Haager Regierungsbezirk. 48.000 Euro kostete die Aktion, die der Staat praktisch bezahlte, denn die Regierung muss den Organisatoren finanzielle Unterstützung für ihre Kampagnen leisten.

Doch woher rührt die Abneigung der Abkommens-Gegner? Sie wittern, versteckt in politischen Floskeln, die verkappte Vorstufe eines EU-Aufnahmeverfahrens. Ferner fürchten sie, EU-Geld würde in den korrupten Strukturen der Ukraine versickern. Befürworter wie die Regierungsparteien halten dagegen: Der Ukraine werde durch den Vertrag geholfen, ein stabiles Land mit einer reifen Demokratie zu werden.

"Für viele Ukrainer ist dieses Abkommen ein Symbol für Europa", sagt Kees Verhoeven, Abgeordneter der linksliberalen Partei D66, die eine "Ja"-Kampagne durchführt. Aus Sicht der Ukraine bringt der Vertrag mit der EU insbesondere wirtschaftliche Vorteile. Denn das Bürgerkriegsland verliert durch seinen Streit mit Russland täglich mehrere Millionen Dollar. Es ist ein Streit, der eng mit dem Abkommen verknüpft ist.

Poroschenko näherte Ukraine wieder an EU an

Im November 2013 lehnte die ukrainische Regierung unter Präsident Viktor Janukowitsch die Unterzeichnung des damals bereits aufgesetzten Vertrags mit der EU kurzfristig ab. Die Angst war zu groß, Russland könne als wichtigster Handelspartner der Ukraine verschreckt werden. Janukowitschs überraschende Wende löste die Maidan-Proteste aus, die zum Sturz des Präsidenten führten.

Petro Poroschenko, Janukowitschs Nachfolger, näherte die Ukraine wieder der EU an – zum Missfallen Russlands, das die Ukraine mit Embargos für Lebensmittel-Importe bestrafte. Poroschenko muss die ukrainische Wirtschaft wieder in Gang bringen. Florierende Handelsbeziehungen mit der EU kämen gerade recht. Wäre da nicht das Referendum, das nach den Enthüllungen in den Panama-Papieren noch stärker gegen das Abkommen mit der Ukraine ausfallen könnte. Auch Poroschenko taucht dort als Inhaber einer Scheinfirma auf.

Die Ukraine dient lediglich als Sündenbock

Dabei geht es den niederländischen Initiatoren gar nicht um die Ukraine. Sie dient lediglich als Sündenbock, um mehr Mitspracherecht des Volkes in EU-Fragen zu erreichen. "Wir wollen mit diesem Referendum ein Signal nach Brüssel schicken, dass die Niederlande eine Demokratie sind, wovon wir in der Praxis bisher aber nicht viel merken", sagt Blogger Nijman. Deshalb organisiere "Geenpeil" eine neutrale Kampagne. Er selbst werde dennoch gegen das Abkommen stimmen, sagt Nijman. "Weil ein Nein das interessanteste Ergebnis hervorbringt." EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker warnte hingegen vor "desaströsen Konsequenzen für ganz Europa".

Der Ausgang des Referendums ist für die niederländische Regierung nicht bindend. Trotzdem wollen die meisten Parteien das Ergebnis respektieren. Stimmt die Bevölkerung gegen das Abkommen, ist Premier Mark Rutte gehalten, nach Brüssel zu reisen, um gemeinsam mit den anderen EU-Mitgliedstaaten eine Lösung zu finden. Die Ratifizierung des Abkommens würde sich weiter verzögern und im äußersten, aber unwahrscheinlichen Fall kippen. Als Premier könnte Rutte zurückrudern und ein mögliches Nein übergehen. Aber im März kommenden Jahres stehen Parlamentswahlen an. Rutte wird es deshalb kaum wagen, den Willen des Volkes zu ignorieren. Ein Sieg für die Demokratie?

(jaco)
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