Martin Schulz wirft Abgeordneten aus EU-Parlament Der Rauswurf war ein dringend notwendiger Schritt

Meinung | Berlin · EU-Parlamentspräsident Martin Schulz hat einen griechischen Abgeordneten des Plenarsaales verwiesen, weil der übelste Volksverhetzung betrieb. Ein ungewöhnlicher, aber dringend notwendiger Schritt.

Der Trend zum Nationalismus bei den Europawahlen hatte für das Klima im Europaparlament bereits Befürchtungen aufkommen lassen. Nun sah sich Parlamentspräsident Martin Schulz gezwungen, eine rote Linie für die parlamentarische Auseinandersetzung zu ziehen. Und das ist gut so.

Schulz kam nicht umhin, die Äußerung des rechtspopulistischen griechischen "Morgenröte"-Abgeordneten Eletherios Synadinos zu wiederholen: "Wie osmanische Wissenschaftler geschrieben haben: Die Türken sind geistige Barbaren, gottesverachtend, Schwindler und schmutzig. Der Türke ist wie der Hund, der den Wilden spielt, aber wenn er gegen den Feind zu kämpfen hat, davonläuft. Der einzige effektive Weg, mit dem Türken umzugehen, ist die Faust und Entschlossenheit."

Bezeichnenderweise fielen diese dumpfen, primitivste Ressentiments zusammenrührenden und die Gewaltanwendung als "effektiven Weg" aufzeigenden Sätze in der Debatte über den EU-Türkei-Gipfel, in dessen Vorfeld es nach langen Jahren eine griechisch-türkische Verständigung über den Nato-Einsatz in zwischen beiden Nationen umstrittenen Ägäis-Regionen gegeben hatte.

Im EU-Parlament sind Sitzungsausschlüsse eher selten. Gut fünf Jahre ist es her, dass der Brite Godfrey Bloom den Saal verlassen musste, weil er Schulz mit "mein Volk, mein Reich, mein Führer" angesprochen hatte. Davor ging es um den Nordiren Ian Paisley, der 1988 während einer Rede von Papst Johannes Paul II. den Gast als "Antichristen" beschimpft und ein Transparent hochgehalten hatte.

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Im Plenarsaal untersagte Plakate bildeten auch den Grund, warum Bundestagspräsident Norbert Lammert Ende Februar 2010 sechs Abgeordnete der Linksfraktion von der Sitzung ausschloss. Er hatte sie zuvor aufgefordert, die Schilder zu entfernen, mit denen sie symbolisch in die Rolle von namentlich genannten Opfern der auf deutsche Anforderung geschehenen Bombardierung zweier Tanklastwagen nahe des deutschen Lagers im afghanischen Kunduz geschlüpft waren. Ähnliche Vorgänge hatten zuvor nicht mit einem Rauswurf geendet, weil die Abgeordneten die Plakate wieder verschwinden ließen. Lammert berief sich bei diesem Exempel auf die Geschäftsordnungen, die Demonstrationen im Saal untersagt.

Bekannteste Ausgeschlossene: Jürgen Reents und Joschka Fischer

Viele Jahre hatte es davor keinen Rauswurf mehr gegeben. Zumeist reichte den Sitzungsleitern das Instrument des Ordnungsrufes. Zu den bekanntesten Ausgeschlossenen gehörten 1984 die Grünen-Abgeordneten Jürgen Reents und Joschka Fischer. Reents hatte dem damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl anlässlich einer Chinareise unterstellt, nur "die Bilanzen deutscher Unternehmen" im Kopf gehabt zu haben, was kein Wunder sei, da sein Weg an die Spitze von Fraktion und Partei "von Flick freigekauft" worden sei. Als der damalige Bundestagsvizepräsident Richard Stücklen darin eine Beleidigung sah und Reents deswegen des Saales verwies, reagierte Fischer mit dem legendär gewordenen Satz: "Mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch", worauf er ebenfalls ausgeschlossen wurde.

In den turbulenten ersten Jahren des Nachkriegsparlamentarismus gab es häufigere Sitzungsausschlüsse, die sich insbesondere gegen kommunistische Abgeordnete richteten. Aber auch SPD-Oppositionsführer Kurt Schumacher traf es. Nach seinem berühmten Ausruf, CDU-Regierungschef Konrad Adenauer sei der "Kanzler der Alliierten" wurde er 1949 gleich für 20 Sitzungen ausgeschlossen.

Darf nicht Teil einer europäischen Debatten(un)kultur werden

Gemessen daran war das Eingreifen von Schulz zwingend nötig. Ausgerechnet im Europäischen Parlament, in dem die gewählten Abgeordneten zwar die Interessen ihrer Heimatregionen vertreten sollen, sich aber den Werten und Grundsätzen der Union verpflichtet fühlen, auf derart beleidigende, volksverhetzende Art Stimmung gegen Angehörige einer anderen Nation zu machen, kann nicht ohne Konsequenzen bleiben.

Schon im Internet schalten immer mehr Bürger, Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichte gegen übelste Beleidigungen, Hassexzessen und schlimmsten Rassismus ein. Das darf in Straßburg und Brüssel nicht Teil einer europäischen Debatten(un)kultur werden.

(may-)
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