Kanzlerin trifft EU-Regierungschefs Warum Merkel Europa braucht

Meinung | Berlin · Kanzlerin Merkel startet in dieser Woche eine europäische Charme-Offensive. Binnen sechs Tagen trifft sie mehr als die Hälfte der europäischen Staats- und Regierungschefs. Und dabei geht es nicht nur um die große EU-Politik. Merkel benötigt auch Erfolge, um innenpolitisch zu punkten.

Merkel: "Schlimm ist allgemeine Verunsicherung"
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Foto: afp

Offiziell geht es um die Frage, wie die 27-EU-Staaten nach dem Brexit-Votum der Briten ihr Verhältnis zum Königreich neu definieren. In Wahrheit aber steht die Zukunft Europas auf der Agenda. Europa braucht nun mehr als ein paar Papiere, die sich zu gemeinsamen politischen Projekten bekennen, deren Formulierungen aber nur mühsam übertünchen, dass es den Nationalstaaten in Wahrheit nur um ihre eigenen begrenzten Anliegen geht. Wenn Europa darüber nicht wieder hinauskommt, wird der Brexit tatsächlich eines Tages als Anfang vom Ende der EU in den Geschichtsbüchern stehen.

Europa benötigt endlich einen gemeinsamen Ansatz in der Flüchtlingspolitik, eine Strategie für den Syrien-Konflikt und wieder ein größeres Bewusstsein dafür, dass die EU mehr ist als eine Wirtschaftsunion. Sie ist ein Projekt für Frieden und Freiheit. Kanzlerin Merkel möchte ihren Gesprächspartnern all dies einimpfen. Sie sorgt sich, wie die Demokraten in Europa ihre Werte gegen den internationalen Terrorismus, gegen die wachsende Zahl totalitärer Staaten in der Welt und auch gegen die wachsende Zahl an Rechtspopulisten verteidigen sollen. Diese Aufgabe können die Europäer nur gemeinsam bewältigen. Das weiß Merkel und auch deshalb umwirbt sie ihre Partner.

Merkels diplomatischer Marathon dient auch dazu, die eigene Reputation zu verbessern. Bei vielen europäischen Regierungschefs ist sie wegen ihrer als unverantwortlich wahrgenommenen Flüchtlingspolitik in der Achtung rapide gesunken. Sie muss das Vertrauen in ihre Person als die Führerin in Europa zurückerarbeiten. Die Chancen stehen nicht schlecht, dass ihr das gelingen kann. Nachdem der große Ansturm der Flüchtlinge durch die geschlossenen Grenzen und durch das EU-Türkei-Abkommen beendet ist, beginnt nun wieder die Zeit der Politik der kleinen Schritten. Das ist Merkels große Stärke.

Auch innenpolitisch braucht sie europäische Erfolge. Ohne neues Vertrauen für Merkel in Europa wird es ihr nicht gelingen, 2017 im Bundestagswahlkampf ihre Umfragewerte deutlich zu verbessern. Ihre enorm hohe Beliebtheit bis zum Sommer 2015 speiste sich aus ihrer Trittfestigkeit auf internationalem Parkett und daraus, dass sie die großen Krisen in der Welt aus dem Alltag der Menschen in Deutschland fernhalten konnte.

(qua)
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