Interview mit EU-Kommissarin Neelie Kroes Auslandstelefonate ab 2016 zum Inlandstarif

Brüssel · Sie macht die Handynnutzung im EU-Ausland billiger und will allen Europäern Zugang zu schnellem Internet bringen. Neelie Kroes (72) ist EU-Kommissarin für die digitale Agenda. Sie möchte, dass Europas Telekomkonzerne wieder Anschluss an die Weltspitze finden. Unsere Korrespondentin Anja Ingenrieth sprach mit ihr.

Interview mit Neelie Kroes: Auslandstelefonate ab 2016 zum Inlandstarif
Foto: Olivier Hoslet

Netzneutralität, Roaming-Bann: Ihre Telekomreform sorgt für Wirbel. Was bringt sie den Verbrauchern?

Kroes: Sie bekommen niedrigere Preise, bessere Qualität und größere Auswahl. Mehr noch: Der Binnenmarkt ist das Kronjuwel der EU. Ausgerechnet beim Telefonieren gibt es aber noch nationale Grenzen. Das ist absurd und hemmt die Wettbewerbsfähigkeit. Ein echter Telekommunikationsbinnenmarkt ist ein prima Konjunkturprogramm. Er bewirkt eine dauerhafte Steigerung des Bruttoninlandsproduktes um fast ein Prozent jährlich. Das macht in vielen Ländern - auch Deutschland - den Unterschied zwischen Wachstum und Rezession aus.

Im Rat, der Vertretung der EU-Staaten, gibt es Widerstand. Rechnen Sie noch damit, dass die Reform noch dieses Jahr beschlossen wird?

Kroes: Ich werde dafür kämpfen wie eine Löwin. Ich brauche dringend die Unterstützung Deutschlands, um die Reform noch in meiner Amtszeit unter Dach und Fach zu bringen. Der Wille ist da, jetzt sind vernünftige Kompromisse nötig. Wir dürfen nicht riskieren, dass eine große Neuordnung des gesamten Sektors politisch später nicht mehr zustande kommt. Sie ist überfällig.

Warum?

Kroes: Die europäische Telekomindustrie spielt nicht mehr in der ersten Liga, hinkt hinterher. Sie hat auf Entwicklungen wie Skype oder die Datenrevolution zu langsam reagiert. Die Umsätze sind absolut wie auch im Vergleich zu den USA, Asien und anderen Märkten rückläufig. Viele Betreiber kämpfen mit hohen Schulden. Durch die schlechte Lage im Telekommunikationssektor wird die übrige Wirtschaft ausgebremst. Wir müssen größeren Schaden abwenden, der durch einen weiteren Niedergang oder gar die Insolvenz unserer Telekommunikationsunternehmen entstehen würde.

Die Branche verlangt mehr Spielraum zur Markt-Konsolidierung, um aus der Krise zu kommen. Wettbewerbskommissar Joaquin Almunia, prüft gerade kritisch die Übernahme des Mobilfunkanbieters E-Plus durch den Konkurrenten Telefónica Deutschland. Er fürchtet die Schwächung des Wettbewerbs auf dem Mobilfunkmarkt . Sie auch?

Kroes: Konsolidierung ist nicht das Ziel meiner Reform, aber es könnte eine Konsequenz sein. Ich bin eine Vorkämpferin für Wettbewerb, aber der hängt von mehr ab als nur der Anzahl der Spieler in einem Markt ab. Die Anbieter müssen auch gesund und innovativ sein. Was die Übernahme von E-Plus durch Telefonica angeht, sind wir besorgt, dass für das neue Unternehmen weniger Anreiz besteht, den Zugang zu seinen Netzen zu fairen Bedingungen zu gewähren. Das könnte es Mitbewerbern schwerer machen, in den Markt zu kommen. Deshalb müssen wir uns den Fall sehr genau anschauen, um die Verbraucher zu schützen, die sonst am Ende mit höheren Preisen bezahlen.

Apropos Preise. Wie viel können Handynutzer durch ihre Regulierung der Roamingaufschläge sparen?

Kroes: Im Schnitt sparen Handynutzer im EU-Ausland durch die bisherigen Preisobergrenzen beim Roaming zwischen 70 und 93 Prozent im Vergleich zu 2008 bei Telefonaten, Kurznachrichten und Surfen. Zwei konkrete Beispiele: Eine vierköpfige Familie spart bei einem einwöchigen Urlaub im EU-Ausland bereits rund 400 Euro und wird durch eine Abschaffung des Roaming weitere 30 Euro weniger für die Smartphone-Nutzung zahlen. Ein Geschäftsreisender mit zehn Trips pro Jahr innerhalb der EU spart heutzutage bereits rund 1200 Euro — und kann mit einer Erleichterung um weitere 100 Euro rechnen.

Nehmen Sie mit dem Wegfall der Roaminggelder von rund sieben Milliarden Euro den Anbietern nicht Spielraum für die bitter nötigen Investitionen in schnelle Netze?

Kroes: Die Unternehmen investieren auch jetzt nicht wie ich mir das wünsche. Es ist doch absurd, dass wir in Europa die Ausweiskontrollen an den Grenzen abgeschafft haben, aber bei jeder Auslandsreise erinnert uns eine Warn-SMS daran, dass Telefonieren und Surfen jetzt sündhaft teuer wird. Wir rechnen mit einem direkten Umsatzrückgang um 0,5 Prozent für die Unternehmen durch die Beseitigung des Preisunterschieds zwischen Inlandsgesprächen und Anrufen innerhalb der EU, der aber mittelfristig durch einen höhere Nutzung ausgeglichen wird. Denn jetzt lassen die Nutzer im Ausland ihr Handy öfter aus, weil sie Angst vor Abzocke haben.

Der Roaming-Bann soll ab Juli 2014 schrittweise erfolgen Wie genau?

Kroes: Unser Ziel ist, dass die Anbieter ihre Inlandstarife auf die EU ausdehnen, so dass die Kunden spätestens ab Juli 2016 ihre Handys und Smartphones überall in der Union zu Inlandspreisen benutzen können. Tun die Anbieter das nicht, müssen sie den Kunden bei Reisen für die Dauer des Auslandsaufenthalts anbieten, ohne Wechsel der SIM-Karte die billigeren Roamingdienste eines lokalen Betreibers oder eines heimischen Konkurrenten zu benutzen. Dieser Wechsel soll - ähnlich wie bei der Auswahl von Zugangspunkten zum kabellosen Internet - technisch einfach sein. Die Abrechnung muss der Anbieter im Heimatland übernehmen.

Besteht nicht die Gefahr, dass die Telekomkonzerne das Geld an anderer Stelle — etwa bei Inlandsgesprächen wieder reinholen?

Kroes: Das werden wir genau beobachten. Bisher war der Trend gegenläufig. Mit den drei Senkungen der Obergrenzen für Mobilfunk-Roamingpreise sind auch die Inlandspreise beständig gefallen.

Was ändert sich noch für Telefonkunden?

Kroes: Künftig darf für einen Festnetzanruf innerhalb der EU nicht mehr verlangt werden als für ein Inlandsferngespräch. Für Anrufe, die auf Reisen in einem anderen EU-Land angenommen werden, dürfen keine Gebühren mehr anfallen.

Ihr Vorschlag zur Netzneutralität hat für Wirbel gesorgt. Kritiker werfen Ihnen vor, ein zwei-Klassen-Internet zu schaffen. Zu Recht?

Kroes: Nein. Wir schaffen ein gesetzlich garantiertes Zugangsrecht zum vollständig offenen Internet, das haben 96 Prozent der Europäer derzeit nicht. Außerdem setzen wir diskriminierenden Blockierungs- und Drosselungspraktiken von Netzinhalten ein Ende. Dienste wie WhatsApp oder Skype dürfen nicht mehr behindert werden. Jeder Kunde muss zudem die Übertragungsgeschwindigkeit bekommen, für die er zahlt. Wenn dies nicht der Fall ist, darf er kündigen Im Schnitt bekommen die Kunden in der EU derzeit nur 74 Prozent der im Vertrag angegebenen Geschwindigkeit.

Für datenintensive Dienste wie Videokonferenzen oder medizinische Anwendungen dürfen die Unternehmen aber eine teure Überholspur auf der Datenautobahn anlegen. Werden nicht immer mehr Dienste in diesen Bereich abwandern?

Kroes: Nein. Auch bei der Post oder beim Fliegen gibt es gegen Aufpreis Premiumdienste bzw. Business Class. Das soll es beim Internet auch geben — mit einer entscheidenden Einschränkung. Diese Spezialdienste dürfen das normale Internet in keiner Weise beeinträchtigen. Dort zu Drosseln, um mehr teure Spezialdienste zu bieten — das geht nicht.

Die Telekom ist nach dem Ärger über ihre Drossel-Pläne zurückgerudert. Weit genug?

Kroes: Die Anbieter können natürlich Pakete mit klar gekennzeichneten Volumen-Beschränkungen für günstigere Preise anbieten. Wer Filme mit hoher Qualität downloaden will, zahlt eben mehr als jemand, der nur E-Mails versenden oder skypen will. Das ist in Ordnung. Entscheidend ist: Der Nutzer muss das bekommen, wofür er bezahlt.

Sie treffen am Mittwoch den neuen Minister für digitale Infrastruktur, Alexander Dobrindt. Er will Deutschen durch eine Allianz mit den Telekomfirmen das schnellste Internet weltweit bringen will. Freuen Sie sich über einen neuen Verbündeten?

Kroes (lacht): Ich kann dynamische Verbündete gut gebrauchen. Bislang fehlen noch Investitionen zwischen 130 und 200 Milliarden Euro, um bis 2020 jedem Europäer eine Verbindung von 30 Megabit pro Sekunde zu sichern und der Hälfte der Haushalte sogar von mehr als 100 Megabit pro Sekunde.

Dobrindt will 50 Megabit bis 2018 für alle Bundesbürger. Ist das realistisch?

Kroes: Heute haben schon zwei von drei Haushalten oder Unternehmen in Deutschland Zugang zu einer 30 Megabit-Leitung. Daher ist es möglich, eine Übertragungsrate von 50 Megabit für alle bis 2018 zu schaffen. Aber nur unter unter zwei Bedingungen. Es muss schneller, billiger und unbürokratischer werden, Breitbandnetze zu verlegen. Und wir müssen zusätzliche Funkfrequenzen für WiFi und 4G verfügbar machen. Ich setze zudem darauf, dass Deutschland gerade in Gebieten wie in Ostdeutschland Vorreiter ist und beweist, wie wichtig schnelles Internet für Wachstum und Arbeitsplätze ist.

Wer soll das bezahlen?

Kroes: Zum Großteil die Konzerne. In ländlichen Regionen werden wir aber um öffentliche Investitionen nicht herumkommen, weil die Privaten eben nur da Geld reinstecken, wo es sich lohnt.

Und was kann die EU beitragen?

Kroes: In den Strukturfonds liegen noch Milliarden für solche Zwecke Doch insgesamt werden wir wohl nur bis zu zehn Milliarden Euro beitragen können — weil die EU-Hauptstädte im Bestreben um einen geringeren EU-Haushalt ehrgeizigere Pläne ausgebremst haben.

Minister Dobrindt will als Lehre aus der NSA-Spähaffäre eine höhere Sicherheit dadurch erreichen, dass deutsche Daten nicht mehr über zwischengeschaltete Server in den USA oder China fließen. Eine gute Idee?

Kroes: Ich will auch hohe Sicherheitstandards — kein Frage. Aber es macht keinen Sinn, bald 28 Clouds in Europa zu haben, das wäre ein Fehler. Wir können den globalen Markt nicht erobern, wenn wir unsere Daten in nationalen Grenzen einsperren.

Die Europawahl naht — und in ihrem Heimatland Niederlande könnte Rechtpopulist Geert Wilders der große Sieger sein. Macht Ihnen der Aufstieg der EU-Gegner Angst?

Kroes: Herr Wilders bereitet mir keine schlaflosen Nächte. Was mich quält, ist die dramatische Jugendarbeitslosigkeit in vielen Ländern Europas. Das ist ein Angriff auf die Demokratie. Um sie wirksam zu bekämpfen, brauchen wir ein vereintes Europa mit einem starken Binnenmarkt. Den Rückzug ins Nationale als Lösung zu verkaufen, ist billig.

Martin Schulz (SPD) möchte gerne nächster EU-Kommissionspräsident werden. Viele EU-Länder — gerade im Süden — haben aber Vorbehalte, wollen nicht noch mehr Macht für Deutschland in der EU. Verstehen Sie das?

Kroes: Bei der Besetzung der Kommissionsspitze sollte Nationalität keine Rolle spielen. Der Beste soll den Job bekommen. Wir brauchen eine Führungspersönlichkeit mit Herz und Strategie. Und wenn ich ehrlich sein darf: meine absolute Favoritin für den Posten wäre Angela Merkel. Sie ist nur leider nicht in der Auswahl.

(csr)
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