Nach dem Brexit Großbritannien auf innenpolitischer Kurssuche

London · Die Wogen schlagen in Großbritannien nach dem Brexit-Referendum auch innenpolitisch weiter hoch. Wer wird Nachfolger von Premierminister David Cameron? Und wie steht die Labour-Partei zu ihrem Chef Jeremy Corbyn?

 Die Brexit-Titelseite des "Evening Standard".

Die Brexit-Titelseite des "Evening Standard".

Foto: dpa, ar bm bjw tba

Der britische Finanzminister George Osborne, lange als Camerons Nachfolger gehandelt, kündigte an, sich nicht um die Führung der Tories und damit das Amt des Premierministers zu bewerben. Er habe "hart" für einen Verbleib in der EU geworben, schrieb Osborne in der "Times". Obwohl er das Ergebnis des Referendums akzeptiere, sei er daher "nicht die Person, die der Partei die Einigkeit geben kann, die sie braucht." In einem BBC-Interview sagte Osborne, durch einen EU-Austritt werde Großbritannien "ärmer". Dies mache eine Verschärfung der Sparpolitik notwendig.

Cameron, der für den Verbleib in der EU geworben hatte, hatte nach dem Brexit-Votum am vergangenen Donnerstag seinen Rücktritt als Partei- und Regierungschef angekündigt. Sein Nachfolger soll bis zum 2. September bestimmt werden.

Als Favoriten gelten der frühere Londoner Bürgermeister Boris Johnson und Innenministerin Theresa May. Johnson war einer der Wortführer des Brexit-Lagers. May hatte für den Verbleib in der EU geworben, aber keine prominente Rolle in der Kampagne gespielt. Laut einer YouGov-Umfrage vom Dienstag stehen 31 Prozent der Konservativen hinter May und 24 Prozent hinter Johnson.

Die Nominierung der Nachfolgekandidaten soll von Mittwoch bis Donnerstagabend laufen. Wenn es mehr als zwei Kandidaten gibt, wird das Bewerberfeld kommende Woche per Abstimmung der Tory-Abgeordneten verkleinert. Über die verbleibenden zwei Kandidaten stimmen dann die rund 150.000 Parteimitglieder per Briefwahl ab.

Auch Gesundheitsminister Jeremy Hunt erwägt eine Kandidatur. In einem Beitrag für den "Daily Telegraph" schlug er ein zweites Referendum vor. Darin solle aber nicht erneut über den Brexit abgestimmt werden, denn dieser sei beschlossene Sache.

Nik Eberts Karikaturen zum Brexit
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Bei dem Referendum sei aber nicht über die "Bedingungen" abgestimmt worden, unter denen der EU-Austritt erfolgen solle, führte Hunt aus. Darüber müssten die Wähler nun noch entscheiden. Der Gesundheitsminister forderte, dass Großbritannien seinen Zugang zur europäischen Freihandelszone behalte, die Personenfreizügigkeit hingegen eingeschränkt werde. Hunt forderte überdies ein ständiges Bleiberecht für alle EU-Bürger, die schon vor dem Referendum in Großbritannien lebten.

Seit dem Referendum kamen schon Millionen Unterschriften für eine Petition zusammen, die ein zweites Referendum über den EU-Austritt fordert. Der britische Europastaatsminister David Lidington schloss dies am Dienstag aus. "Ich denke nicht, dass das korrekt wäre", sagte Lidington in einem Interview mit der polnischen Zeitung "Rzeczpospolita".

Von Camerons Scheitern und der Spaltung der Tories profitiert die Labour-Partei derzeit nicht, sie steckt selbst in der Krise. Am Dienstag um 16.00 Uhr (Ortszeit, 17.00 Uhr MESZ) sollte Parteichef Corbyn sich einem Misstrauensvotum stellen, das Ergebnis sollte etwa eine Stunde später verkündet werden. Durch eine Rücktrittswelle nach dem Referendum verlor der Parteichef bereits mehr als die Hälfte der Mitglieder seines Schattenkabinetts.

Brexit - Reaktionen in Bildern
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Viele Vertreter des rechten Parteiflügels werfen Corbyn vor, nur halbherzig für den Verbleib geworben und damit viele Wähler aus dem eigenen Lager nicht überzeugt zu haben. Die Parteilinken sprachen unterdessen von einem seit längerem geplanten Coup gegen Corbyn. Der 67-Jährige will auch im Falle eines Misstrauensvotum nicht zurücktreten, da er im September von einer großen Mehrheit aller Parteimitglieder gewählt worden sei.

(hebu/afp)
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