Reaktionen auf den EU-Sondergipfel Griechische Öffentlichkeit sieht Tsipras daheim in Bedrängnis

Athen · Endlich Bewegung im Gerangel mit Griechenland, lautet ein Fazit nach dem EU-Sondergipfel in Brüssel. Denn Athen stellt wichtige Zugeständnisse in Aussicht. Doch Regierungschef Tsipras steht daheim noch schwere Überzeugungsarbeit bevor. Denn das griechische Reformangebot an die internationalen Geldgeber droht im Parlament in Athen zu scheitern.

Pressestimmen zu Griechenland: "Was sich derzeit in Europa abspielt, ist erbärmlich"
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"Was sich derzeit in Europa abspielt, ist erbärmlich"

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Foto: qvist /Shutterstock.com/Retusche RPO

Vize-Parlamentssprecher Alexis Mitropoulos, der die regierende Syriza-Partei vertritt, warnte am Dienstag, viele Abgeordnete könnten der Vorschlagsliste von Regierungschef Alexis Tsipras die Unterstützung verweigern. "Ich glaube, dieses Programm (...) wird Schwierigkeiten haben, bei uns durchzukommen."

Griechenlands Medien sehen nach der jüngsten Annäherung Tsipras in Erklärungsnot. Die konservative Zeitung "Kathimerini" schreibt am Dienstag, Tsipras müsse jetzt seinem Parlament und seiner Partei erklären, warum er von seinen Wahlversprechen so sehr abweiche. Einen "Crash-Test für die Regierung" erwartet das Blatt.

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Das ist Alexis Tsipras

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Foto: dpa, sp ase tba

Nach dem EU-Sondergipfel am Montagabend in Brüssel zeigte sich die griechische Regierung optimistisch. "Die Zeichen deuten darauf hin, dass wir ganz nahe an eine Übereinkunft sind", sagte Regierungssprecher Gabriel Sakellaridis am Dienstagmorgen in Athen.

Die griechische Zeitung "Ta Nea" kritisierte, dass noch immer kein Wort über die Umstrukturierung des Schuldenberges gefallen sei. Tsipras stehe vor einer Konfrontation mit seiner Partei Syriza. Der Ministerpräsident muss für seine einschneidenden Sparmaßnahmen eine Mehrheit im griechischen Parlament finden.

Juni 2015: Bilder vom EU-Gipfel
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Beim EU-Sondergipfel waren sich Griechenland und seine Geldgeber nähergekommen, eine Einigung steht aber noch aus. Die Beteiligten hoffen, dass es in dieser Woche zu einem Durchbruch kommt. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte am Montag in Brüssel, sie hoffe, dass das für Mittwochabend anberaumte weitere Treffen der Finanzminister der Eurogruppe Ergebnisse verkünden könne. Am Donnerstag und Freitag kommt dann der reguläre EU-Gipfel mit 28 Staats- und Regierungschefs zusammen.

Merkel erhöhte noch einmal den Druck auf die Regierung in Athen. Sie sah in den Brüsseler Verhandlungen zwar einen "gewissen Fortschritt", "aber es ist auch klar geworden, dass noch sehr viel Arbeit zu leisten ist, und dass die Zeit dafür sehr kurz ist".

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Tsipras hatte praktisch in letzter Minute neue Vorschläge für harte Steuererhöhungen und Einsparungen vorgelegt. Die Maßnahmen sollen in den kommenden eineinhalb Jahren fünf Milliarden Euro einbringen. Tsipras sagte nach den Beratungen: "Unser Vorschlag ist akzeptiert worden als Basis für Gespräche." Notwendig sei ein umfassendes Programm, das Griechenland wirtschaftlich "lebensfähig" mache.

Athen ist laut Regierungskreisen nun bereit, die Mehrwertsteuer im Bereich Tourismus zu erhöhen, die meisten Frührenten abzuschaffen und die Reichen im Land mit einer Sondersteuer zu belegen. Unternehmen, die 2014 mehr als 500.000 Euro Gewinn machten, sollen Sondergewinnsteuer zahlen. Eine Immobiliensteuer, die die linke Regierung eigentlich abschaffen wollte, soll bestehen bleiben. Die Regierung will die Rüstungsausgaben zudem um 200 Millionen Euro zusammenstreichen. Rentenkürzungen soll es aber nicht geben.

Der Grünen-Finanzexperte im Europaparlament, Sven Giegold, begrüßte den Fortschritt. "Das schlimmste Szenario wäre natürlich gewesen, dass die Verhandlungen gescheitert sind. Das wäre für Griechenland und für Europa die schlechteste Lösung gewesen", sagte Giegold nach dem Gipfel in einem Interview des Deutschlandfunks. "Dass sich jetzt eine Vereinbarung abzeichnet, ist gut." Zugleich habe er die Sorge, dass die Sparmaßnahmen zu einem neuen Einbruch der griechischen Wirtschaftskraft führen.

Und der EU-Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici rechnet mit einer Beilegung der griechischen Schuldenkrise in dieser Woche. "Ich bin überzeugt, dass wir ein Abkommen erreichen werden", sagte Moscovici am Dienstag dem Radiosender France Inter. Knackpunkte bei den Verhandlungen seien die Erhöhung der Mehrwertsteuer und Maßnahmen bei den Renten.

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat derweil den finanziellen Spielraum für griechische Banken ein weiteres Mal erweitert. Dies verlautete am Dienstag aus Bankkreisen in Athen. Damit erhöhte die EZB den Rahmen für die sogenannten ELA-Notkredite zum vierten Mal binnen weniger Tage.

Vorige Woche hatte der EZB-Rat den Rahmen für die Hilfen auf rund 86 Milliarden Euro angehoben, um ihn dann laut Insidern am Montag erneut um zwei Milliarden aufzustocken. Mit dem Geld sollen die Banken trotz der starken Mittelabflüsse zahlungsfähig bleiben. Denn wegen der drohenden Staatspleite holen viele Griechen ihr Geld von den Konten.

(dpa/rtr/afp)
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