Flüchtlingskrise Diplomatische Paukenschläge erschüttern EU

Brüssel · Nationale Alleingänge nehmen zu, die Einheit der Staatengemeinschaft steht auf dem Spiel. Verärgert über Österreich und die Länder an der Westbalkanroute ruft Athen seinen Botschafter aus Wien zurück. In Calais darf das Flüchtlingslager teilweise geräumt werden.

 Während die Politik streitet versuchen weiterhin viele Menschen über gefährliche Routen nach Europa zu flüchten.

Während die Politik streitet versuchen weiterhin viele Menschen über gefährliche Routen nach Europa zu flüchten.

Foto: ap

Die Flüchtlingskrise steigert sich zur Zerreißprobe für die Europäische Union. Griechenland rief am Donnerstag aus Ärger über die österreichische Politik zur Abschottung der Balkanroute seinen Boschafter aus Wien zurück. Gleichzeitig zeigte sich Frankreich befremdet über verschärfte Grenzkontrollen seines Nachbarn Belgien. Dieser wiederum will nach der geplanten Auflösung eines Flüchtlingscamps in Calais keine von dort ausgewiesenen Migranten aufnehmen.

"Jetzt stehen die Einheit der Union und Leben — Menschenleben — auf dem Spiel", sagte EU-Migrationskommissar Dimitris Avramapolous am Rande eines Innenministertreffens in Brüssel. Bei den Beratungen ging es um die sich rasant verschlechternde Gesamtlage.

Da hinein platzte der Rückruf des griechischen Boschafters aus Wien. Außenminister Nikos Kotzias sagte, damit sollten "die freundlichen Beziehungen zwischen den Staaten und den Menschen von Griechenland und Österreich" geschützt werden. Es sei "klar, dass die großen Probleme der Europäischen Union nicht bewältigt werden können mit Gedanken, Mentalitäten und sonderinstitutionellen Initiativen, die ihre Wurzeln im 19. Jahrhundert haben".

Das bezog sich auf eine von Österreich organisierte Konferenz am Mittwoch, bei der die Wiener Regierung mit Vertretern von Balkanländern darüber beriet, wie die Zahl der nach Europa kommenden Flüchtlinge begrenzt werden könne — bis hin zur kompletten Schließung der Route. Griechenland war nicht eingeladen. Die Regierung in Athen befürchtet nun, dass sich die Tausenden von der Türkei kommenden Flüchtlingen in Griechenland stauen. Die Aufnahmekapazität des Landes wäre bei einer Schließung des Wegs nach Österreich binnen weniger Tage erschöpft, hieß es.

Der stellvertretende griechische Innenminister Ioannis Mouzalas warnte beim Innenministerrat in Brüssel, wenn einige Länder meinten, das Problem mit nationalen Alleingängen lösen zu können, könne Griechenland das auch. Sollte auf dem EU-Flüchtlingsgipfel am 7. März die Last nicht verbindlich auf alle Mitgliedstaaten verteilt werden, werde Athen alle anderen dort angestrebten Beschlüsse blockieren.
Griechenland weigere sich, ein "Lagerhaus der Seelen" zu werden.

Die Folgen der Wiener Balkanrouten-Konferenz waren am Donnerstag bereits an der nordgriechischen Grenze zu besichtigen: Rund 4000 Flüchtlinge strandeten dort, weil ihnen mazedonische Grenzbeamte die Einreise verweigerten. Nur 100 von ihnen durften passieren.

Das Fehlen eines gemeinsam von allen Mitgliedern getragenen Flüchtlingskonzepts sorgte auch an anderer Stelle für Streit: Die EU-Kommission zeigte kein Verständnis für das in Ungarn angekündigte Referendum über die Aufnahme von Flüchtlingen nach einem Quotenplan.

Dieser ist längst offiziell von der Gemeinschaft, aber noch nicht umgesetzt: Vorgesehen ist demnach, Italien und Griechenland von 160.000 Flüchtlingen zu entlasten und diese auf alle 28 Mitglieder zu verteilen. Umgesiedelt wurden davon gerade mal 600, nicht einmal 5000 weiteren wurden Aufnahmeplätze angeboten. Allein Deutschland hat 2015 fast 1,1 Millionen Flüchtlinge registriert, die über die Balkanroute kamen.

Die französische Justiz hat die geplante Räumung eines Teils des Flüchtlingslagers in Calais gebilligt. Das Verwaltungsgericht der nordfranzösischen Stadt Lille erklärte ein entsprechendes Dekret am Donnerstag für rechtmäßig, wie aus dem Umfeld der zuständigen Präfektur verlautete. Damit können die Behörden wie geplant den südlichen Teil des als "Dschungel" bekannten Lagers am Ärmelkanal räumen.

Belgien hat in Erwartung einer Ausweisung der dort eigentlich auf eine Überfahrt nach Großbritannien hoffenden Flüchtlinge schon vorsorglich die Grenzkontrollen verschärft. Der französische Innenminister Bernard Cazeneuve nannte dies eine "merkwürdige Entscheidung".

(gol/ap)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort