Steinbrück-Wechsel befeuert Debatte EU-Parlament streitet über mehr Transparenz

Brüssel · Der Wechsel ins Bankenlager, den Peer Steinbrück (SPD) wenige Tage nach seiner letzten Rede im Bundestag öffentlich macht, befeuert auch in Brüssel eine Debatte: Sie dreht sich darum, ob die Transparenz-Regeln für Politiker und Lobbyisten verschärft werden müssen.

 Das EU-Parlament in Brüssel.

Das EU-Parlament in Brüssel.

Foto: dpa, pse bjw axs

Kein Wunder, schließlich ist die Dichte an Lobbyisten im unmittelbaren Umfeld der drei EU-Institutionen in Brüssel — im Europaviertel sitzen Kommission, Rat und Parlament — besonders hoch. Dabei ist die EU beim Thema durchaus weiter als manches Mitgliedsland. So gibt es in Brüssel ein Lobbyregister. Kommissare und hochrangige Beamte der Kommission sind gehalten, sich nur mit Interessenvertretern zu treffen, die dort eingetragen sind.

Nun ist der Grüne Sven Giegold mit einem Katalog von Vorschlägen angetreten, die die Glaubwürdigkeit im Europa-Parlament erhöhen sollen. Die Radikalität seiner Forderungen führt aber dazu, dass er bei Sozialdemokarten, Christdemokarten und Liberalen neben Zustimmung in einzelnen Punkten auf heftigen Widerstand stößt.

Giegold verlangt etwa, dass Abgeordnete sich ein Beispiel an der Praxis in der EU-Kommission nehmen und sich nur noch mit Lobbyisten treffen sollten, die auch registriert sind. "Wenigstens Berichterstatter, Schattenberichterstatter und Ausschussvorsitzende sollten die systematische Praxis pflegen, nur registrierte Lobbyisten zu treffen." Liberale, Konservative und Genossen lehnen dies entschieden ab.

Begründung: Die Forderung würde gegen das freie Mandat eines Abgeordneten verstoßen. Michael Theurer (FDP) sagte: "Jeder Abgeordnete muss mit jedem Bürger ins Gespräch kommen können. Ich kann nicht jedes Mal vorher prüfen, ob mein Gegenüber womöglich noch einen anderen Hut auf dem Kopf hat."

Inge Gräßle (CDU), Chefin im Haushaltskontrollausschuss des EU-Parlaments, sieht es ähnlich: "Mit dieser Forderung schießt Giegold über das Ziel hinaus. Ich lasse mir nicht vorschreiben, wen ich treffe und von wem ich mir Argumente vortragen lasse." Es sei falsch, wenn Abgeordnete mit Kommissaren in dieser Frage auf eine Ebene gestellt würden.

Ein EU-Kommissar habe ein öffentliches Amt, müsse sich vor allen EU-Bürgern rechtfertigen, ein Abgeordneter dagegen habe ein politisches Amt und sei in erster Linie seinen Wählern verantwortlich. Sie selbst veröffentliche freiwillig Lobby-Kontakte, etwa wenn sie sich mit Vertretern der Tabak-Industrie treffe.

Eine Pflicht lehne sie aber ab. Ihr Kollege bei den Sozialdemokraten, Jens Geier aus NRW, verweist darauf, wie sinnvoll es ist, wenn ein vertrauliches Gespräch mit Abgeordneten möglich ist: "Ich bekomme immer wieder wertvolle Informationen, die mir nie gesagt würden, wenn ich jede Quelle offen legen müsste." Eine Quelle für sensible Informationen versiege, sobald Vertraulichkeit nicht mehr gewahrt sei.

Giegold fordert zudem Karenzzeiten für ausscheidende Europa-Abgeordnete. Solange Ex-Parlamentarier Übergangsgeld beziehen - je nach Zugehörigkeit zum Parlament sind dies sechs bis 24 Monate - sollten sie keinen Job annehmen dürfen, bei dem es Berührungspunkte mit ihrem bisherigen Betätigungsfeld gibt.

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Giegold: "Während dieser Zeit sollten sie ihr Insiderwissen nicht als Lobbyist einsetzen dürfen." Auch gegen diesen Punkt regt sich Widerstand. Geier hält dies für übertrieben: "Es ist sinnvoll, strikte Regeln für Lobbykontakte bei den Entscheidungsträgern in der Kommission einzuziehen."

Ex-Parlamentarier müssten diesem strengen Reglement aber nicht unterworfen werden. "Was soll ein Ex-Parlamentarier schon für einen Schaden anrichten?"Auch Gräßle findet die Forderung "weltfremd": "Nach fünf Jahren im Parlament hat ein Abgeordneter Anspruch auf fünf Monate Übergangsgeld. Die Zeit braucht er, um sich einen neuen Job zu suchen."

Den größten Protest erntet aber die Forderung des Grünen nach einem unabhängigen Ethikkomitee. Unabhängige, parlamentsfremde Experten sollten künftig das Verhalten von Abgeordneten unter die Lupe nehmen können. Und zwar, ohne dafür die Zustimmung des Parlamentspräsidenten einholen zu müssen. Gräßle kritisiert: "Damit würde ein Instrument geschaffen, um Abgeordnete einzuschüchtern, sie an den Pranger zu stellen und mundtot zu machen. Das lehne ich entschieden ab."

Auch Jens Geier protestiert: "Mit dieser Forderung überzieht Giegold." Die unabhängige Ethik-Kommission erinnere ihn an die Inquisition. Es müsse unbedingt verhindert werden, dass sich Parlamentarier gegenseitig mit Verdächtigungen überziehen könnten. "Der Ruf von Abgeordneten ist schnell ruiniert, bevor das Gremium auch nur über mögliche Interessenkonflikte nachdenken könnte."

Damit zeichnet sich ab: Derzeit hat Giegold mit seinen Vorschlägen keine Chancen auf Mehrheiten im EU-Parlament. Gräßle prognostiziert: "Er muss Abstriche machen, ansonsten verpufft sein Vorstoß."

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