Nach Vorgehen gegen Staatsbedienstete EU-Parlament fordert Einfrieren der Türkei-Beitrittsgespräche

Brüssel · Mit großer Mehrheit hat das Europäische Parlament für ein Aussetzen der EU-Beitrittsgespräche mit der Türkei gestimmt. Der türkische Ministerpräsident wirft der EU im Gegenzug Widersprüche vor.

 Für Präsident Erdogan hat das Votum keine Bedeutung.

Für Präsident Erdogan hat das Votum keine Bedeutung.

Foto: afp, AFP

Die Abgeordneten nahmen mit 479 Stimmen eine nicht bindende Resolution an, in der die 28 EU-Mitglieder aufgefordert werden, ihre Verhandlungen mit der Regierung in Ankara so lange auf Eis zu legen, bis die "unverhältnismäßigen Maßnahmen" aufgehoben werden, die angesichts des Notstands in der Türkei verhängt wurden. Gegen den Entwurf stimmten 37 Parlamentarier, 107 enthielten sich.

"Die EU verliert ihre Glaubwürdigkeit, wenn sie die Illusion von Beitrittsgesprächen mit einem zunehmend autoritären Regime aufrecht erhält", sagte der Fraktionschef der Liberalen im EU-Parlament, Guy Verhofstadt. Der Vizepräsident des EU-Parlaments, Alexander Graf Lambsdorff, sprach dennoch von einem starken Signal.

Nach dem Umsturzversuch in der Türkei wurden schon mehr als 125.000 Staatsbedienstete entlassen, mehrere Tausend wurden festgenommen. Darunter sind Soldaten, Polizisten und Richter. Auch Journalisten und Akademiker sind ins Visier der Behörden geraten. Erdogan beschuldigt den in den USA lebenden Prediger Fethullah Gülen, Drahtzieher des gescheiterten Putsches zu sein, und geht gegen seine Anhänger vor. Gülen bestreitet den Vorwurf.

Die 2005 begonnenen Beitrittsgespräche zwischen der EU und der Türkei stecken schon länger in einer Sackgasse. Erdogan hat für kommendes Jahr ein Referendum in seinem Land darüber in Aussicht gestellt, ob die Verhandlungen mit der EU fortgesetzt werden sollen. Umgekehrt droht die EU damit, die Gespräche zu beenden, falls Erdogan wie angekündigt die Todesstrafe wieder einführt.

Die türkische Regierung hat die Forderung nach einem Einfrieren der EU-Beitrittsgespräche scharf kritisiert und zugleich als irrelevant abgetan. "Diese Entscheidung hat überhaupt keine Bedeutung für uns", sagte Ministerpräsident Binali Yildirim in Ankara. "Die Beziehungen mit der Europäischen Union sind ohnehin nicht so eng. Das ist eine Beziehung, die mit Mühe und Not und widerwillig läuft."

Yildirim forderte die EU zu einer Entscheidung über den weiteren Beitrittsprozess auf. "Wird Europa seine Zukunftsvision zusammen mit der Türkei formen oder ohne die Türkei?" Er fügte hinzu: "Dass Europa einerseits sagt, die Türkei ist unverzichtbar für die Sicherheit, andererseits aber solche Entscheidungen aus an den Haaren herbeigezogenen Gründen trifft, ist ein vollkommener Widerspruch." Nach der Resolution des EU-Parlaments erwarte er von den Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten, "dass sie ihre Stimme gegen diese Visionslosigkeit erheben".

Yildirim warf dem EU-Parlament "Doppelmoral" vor und attestierte ihm, "arm an Demokratie" zu sein. Der türkische EU-Minister Ömer Celik sagte an die Adresse der Abgeordneten: "Sie sollten sich vom türkischen Volk über Demokratie belehren lassen." Celik nannte die Resolution "null und nichtig". Die EU selber befinde sich in einer "Wertekrise bezüglich Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit, Islamophobie und Antisemitismus", die sie nun an der Türkei auslasse.

(crwo/ap/rts)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort