Regierungskonsultationen in Berlin Die Türkei wird selbst immer mehr zum Problemfall

Meinung | Düsseldorf · Bei den deutsch-türkischen Regierungskonsultationen in Berlin geht es vor allem um die Flüchtlingsfrage. Doch auch Menschenrechte und der Kurdenkonflikt sollten angesprochen werden. Den Mantel des Schweigens darüber zu breiten, ist nicht nur zynisch, es ist auch kurzsichtig.

Der türkische Ministerpräsident Davutoglu und Kanzlerin Merkel bei einem früheren Treffen in Berlin.

Der türkische Ministerpräsident Davutoglu und Kanzlerin Merkel bei einem früheren Treffen in Berlin.

Foto: dpa, bvj htf tba

Keine Frage, die EU ist in der Flüchtlingsfrage auf die Türkei angewiesen. Und ganz besonders angewiesen auf den guten Willen der Türken ist Bundeskanzlerin Angela Merkel. Ein Großteil ihrer Hoffnung, den Flüchtlingsstrom auch ohne die von ihr bisher kategorisch ausgeschlossene Grenzschließung drosseln zu können, beruht darauf. Das weiß der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan, und das nutzt er gnadenlos aus.

Im Südosten der Türkei lässt er einen blutigen Krieg führen, der sich zwar offiziell gegen die kurdische Untergrundorganisation PKK richtet, aber nach Einschätzung von Menschenrechtsorganisationen unnötig brutal ist und bereits zahlreiche Zivilisten das Leben gekostet hat, von den Vertreibungen und schweren Zerstörungen in der Region ganz abgesehen. Trotzdem ist aus Berlin kein Wort der Kritik zu hören, genauso wenig wie an der Repression, mit der Erdogan seine autoritäre Herrschaft abzusichern sucht, ohne Rücksicht auf Rechtsstaat, Demokratie und Menschenrechte. Journalisten werden weggesperrt, oppositionelle Medien drangsaliert, die Justiz gleichgeschaltet.

Darüber den Mantel des Schweigens zu breiten, ist nicht nur zynisch, es ist auch kurzsichtig. Denn Erdogans Politik bedroht mehr als alles andere die innere Stabilität der Türkei. Das Land, über Jahrzehnte trotz aller Einschränkungen ein verlässlicher Partner, wird selbst immer mehr zum Problemfall. Die türkische Gesellschaft ist zutiefst gespalten, zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen herrscht teils offener Hass, und nun wird die Türkei auch noch zum Ziel islamistischen Terrors, dem die Regierung viel zu lange durch eine Politik des Wegschauens und Paktierens zu entgehen glaubte.

Resultat: Es gibt heute in der Türkei viel klammheimliche Sympathie mit der Terror-Miliz IS. Fast ein Viertel der Türken empfindet die Islamisten laut einer Umfrage nicht als Bedrohung. Davor die Augen zu verschließen, dies nicht offen anzusprechen, um Erdogan bloß nicht zu verärgern, ist ein großer Fehler.

(bee)
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