Wahl in den Niederlanden Der Deich hat gehalten

Den Haag · In den Niederlanden kann sich Ministerpräsident Rutte nach seinem Wahlsieg über den Rechtspopulisten Wilders vor Glückwünschen kaum retten. Das Ergebnis ist auch ein Signal an den Rest Europas.

 Premier Mark Rutte feiert seinen Sieg.

Premier Mark Rutte feiert seinen Sieg.

Foto: dpa, dan fdt

2016 war ein Krisenjahr für Europa: Islamischer Staat, Flüchtlingsstrom, Brexit, Donald Trump. Es sind für gewöhnlich jene Zeiten, in denen Schreihälse besondere Beachtung finden, weil sie die "Dinge benennen", wie es dann heißt. Geert Wilders ist einer der größten Schreihälse. Beleidigend und verletzend führte er seinen Wahlkampf - meist vom heimischen Sofa aus, das Smartphone mit der Kurznachrichten-App Twitter immer griffbereit. Probleme benannte er viele, Lösungen bot er keine. Und so räumte er am Mittwochabend ein, das selbst gesteckte Ziel verfehlt zu haben. Es zeigt: Der Rechtspopulismus muss nicht siegen.

Friso Wielenga, Direktor des Zentrums für Niederlande-Studien an der Universität Münster, sagt: "Der niederländische Deich hat doch ein bisschen gehalten." Die Rechten Europas hatten gehofft, dass er bricht. In Koblenz hatten Marine Le Pen, Frauke Petry und Geert Wilders Ende Januar das Jahr ausgerufen, "in dem die Völker des kontinentalen Europa" erwachen. Die Niederländer sind erwacht, aber wohl anders als gedacht.

In Frankreich wird am 23. April und 7. Mai ein neuer Präsident gewählt. Marine Le Pen vom rechtsextremen Front National wird es wahrscheinlich in die Stichwahl schaffen. Dort räumen ihr Wahlbeobachter nur geringe Chancen ein. Hierzulande wird die AfD am 24. September in den Bundestag einziehen. Doch die Partei von Frauke Petry hat zuletzt Stimmen verloren. Derzeit würde sie laut einer aktuellen Forsa-Umfrage neun Prozent erhalten. Ende Dezember hatte die Partei noch bei zwölf Prozent gelegen.

Fragen zum plumpen Wahlprogramm

Wilders' "Freiheitspartei" PVV kann nun 20 der 150 Sitze im Parlament belegen. Das ist viel. Und es ist mehr als 2012. Damals erreichte Wilders 15 Sitze. 2010 waren es 24. Doch hatten die Demoskopen der Partei zwischenzeitlich bis zu 40 Sitze zugetraut. In den vergangenen Monaten sackte die PVV immer weiter ab. An TV-Duellen nahm Wilders nicht teil - nur an einem, gegen seinen Konkurrenten, Premier Mark Rutte. Er verlor es.

Wilders begründet seine Abwesenheit in der Öffentlichkeit oft mit seinem hohen Sicherheitsstatus. Es hatte wohl mehr damit zu tun, dass er sich davor scheute, inhaltliche Fragen zu seinem plumpen Wahlprogramm zu beantworten. Wilders ist kein Ministerpräsident. Er braucht die Opposition, dort kann er poltern, aber gottlob auch wenigen schaden.

Und Mark Rutte? Der ist eigentlich kein echter Wahlsieger, sagen seine Kritiker. Rutte kommt auf 33 Sitze, acht weniger als 2012. Das ist ein Verlust, logisch. Doch sollte man sich auch hierbei noch einmal vor Augen führen, in welchen Zustimmungsbereichen die VVD noch vor einigen Monaten gehandelt wurde: abgeschlagen auf 20 Sitze, an manchen Tagen darunter. Rutte hat Wählerstimmen zurückgeholt, die schon verloren geglaubt waren.

Die Wilderisierung Ruttes

Wie hat er das gemacht? Indem er es Wilders gleichtat? In einem Brief an "alle Niederländer" mahnte Rutte Ausländer zur Anpassung, andernfalls sollten sie gehen. Die Wilderisierung Ruttes ist nur die halbe Wahrheit. Der niederländische Premier war schon immer ein rechtsliberaler Politiker. Als er und Wilders noch zusammen in der VVD saßen, vertraten beide ähnliche Ansichten. Wilders wurde nach seinem Parteiaustritt nur lauter.

Rutte hatte in vergangenen Jahren andere Sorgen als jene, die Wilders anprangerte: die größte Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg zum Beispiel. In dieser Zeit hatte Rutte viele Wähler enttäuscht, weil er Versprechen brach. Die niederländische Wirtschaft wieder in Gang zu bringen, war sein größtes Ziel. Dafür machte er Abstriche, die dem Volk sauer aufstießen. Erfolglos war Rutte aber nicht. Die Niederlande stehen wirtschaftlich bestens da: mit Wachstumsraten von zwei Prozent und einer Arbeitslosenquote, die mit 5,4 Prozent historisch niedrig liegt.

Im TV-Duell gegen Wilders gab Rutte zu, eine harte Linie gefahren zu haben. Aber eine, die notwendig war. Er werde seinen Fokus nun auf die hart arbeitende Mitte der Gesellschaft legen, schließlich habe diese die Krise mitgetragen. Sie müsse nun auch vom Aufschwung profitieren. Das scheinen ihm viele Wähler zu glauben.

Es bedarf einer vierten Partei

Rutte profitierte zudem vom Konflikt mit der Türkei. Im Streit mit den türkischen Ministern ging er in seiner Lieblingsrolle als internationaler Staatsmann voll auf. Höflich, aber bestimmt warf er die türkische Familienministerin aus dem Land. Danach signalisierte er Gesprächsbereitschaft, obwohl die Türkei mit Sanktionen drohte. Man muss kein Hellseher sein, um zu erahnen, dass der Streit noch mehr eskaliert wäre, wäre der Islamhasser Wilders an Ruttes Stelle gewesen.

Als Wahlsieger muss Rutte nun eine neue Koalition schmieden. Auf seinen bisherigen Partner, die Partei für die Arbeit (PvdA), kann er nach dessen Pleite wohl nicht mehr bauen. Die linksliberale D66 sowie die Christdemokraten (CDA) scheinen gesetzt. Doch das Bündnis würde nicht für eine Mehrheit reichen. Es bedarf einer vierten Partei. Grün-Links liegt mit Ruttes VVD zwar in einigen Punkten weit auseinander, doch sollte der steile Aufstieg der Partei unter ihrem charismatischen Spitzenkandidaten Jesse Klaver in Form einer Regierungsbeteiligung belohnt werden, finden viele Niederländer.

Es werden anstrengende Sondierungsgespräche in der stark zersplitterten Parteienlandschaft. In einem Punkt ist man sich jedoch einig: keine Koalition mit Geert Wilders.

(jaco)
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