Unterhauswahl in Großbritannien Der Brexit ist Mays Schicksalsthema

Meinung · In wenigen Tagen sollen die EU-Austrittsverhandlungen beginnen. Ob das angesichts des katastrophalen Wahlausgangs für Theresa May noch möglich ist, bleibt fraglich. Die Wahl hat gezeigt, für viele Briten ist nicht der Brexit das drängendste Problem, sondern soziale Ängste.

 10 Downing Street, Residenz der Premierministerin.

10 Downing Street, Residenz der Premierministerin.

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Die vorgezogene Neuwahl des Parlamentes in Großbritannien endet für die noch amtierende Premierministerin Theresa May in einer Katastrophe. Sie hat mit ihrer konservativen Partei zwar die meisten Stimmen geholt, doch sie ist weit hinter ihrem selbst gesteckten Ziel geblieben. Die Regierungschefin wollte die Zahl der Unterhaussitze um 100 bis 150 erhöhen, um für die anstehenden Austrittsverhandlungen mit der Europäischen Union ein starkes und glaubwürdiges Mandat zu bekommen. May hatte die Wahl angesetzt, weil die Stimmung im Lande ihr günstig erschien und weil die Meinungsumfragen ihr einen Kantersieg vorhersagten.

Das amtliche Endergebnis liegt noch nicht vor. Klar ist aber, dass May bei den Verhandlungen mit der EU nicht aus einer Position der Stärke wird verhandeln können. Sie wird eine Koalitionsregierung eingehen müssen. Das wäre auch eine persönliche Schlappe als Parteiführerin der Konservativen. Sie war durch den Rücktritt von David Cameron ins Amt gekommen. Sie wollte eine eigene Mehrheit für die Lösung aller politischen Probleme im Königreich. Nun sind Ruf und Autorität von Theresa May untergraben. Oppositionsführer Jeremy Corbyn hat bereits den Rücktritt von May gefordert. Doch eine eigene regierungsfähige Mehrheit wird der Labour-Führer nicht zimmern können.

Koalition mit der nordirischen "Democratic Unionist Party"

Jetzt bleibt May als Option nur eine Koalition. Infrage kommt wohl nur ein Zusammengehen mit der nordirischen "Democratic Unionist Party". Diese Nationalkonservativen haben bereits Verhandlungen angeboten. Doch der Preis ist für May hoch. Die "Democratic Unionist Party" will keinen harten Brexit à la May. Sie will im EU-Binnenmarkt bleiben und nicht wie May den harten Cut mit Brüssel. Dieser bedeutet raus aus dem Binnenmarkt und sofortigen Stopp der Freizügigkeit.

Wahl in Großbritannien: Schock für die Konservativen, Labour-Partei jubelt
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May muss ihre Verhandlungsstrategie mit der EU überdenken. Sie wollte ein starkes und glaubwürdiges Mandat für die Verhandlungen. Das Wahlergebnis sagt ihr aber, viele Briten wollen zwar die EU verlassen, aber nicht um jeden Preis. In wenigen Tagen sollten die Austrittsverhandlungen aufgenommen werden, ob dies angesichts der prekären innenpolitischen Situation in Großbritannien überhaupt möglich sein wird ist offen.

Eine Minderheitsregierung mag möglich sein, doch sie würde das Land und die Lösung anstehender Probleme lähmen. Am Ende würde die Regierung von wechselnden Mehrheiten abhängen und damit weitgehend gestaltungsunfähig. Auch Neuwahlen im Herbst bringen keine Lösung. Man kann nicht solange wählen, bis eine genehme Mehrheit zustande kommt.

Theresa May wird sich innerparteilich harscher Kritik ausgesetzt sehen. Ihre Führungsqualitäten werden hinterfragt. Retten wird sie möglicherweise die Tatsache, dass die Konservativen zurzeit keine personelle Alternative aufbieten können. May hat einen desaströsen Wahlkampf geführt. Sie hat sich weitgehend auf die Brexit-Thematik beschränkt. Auch als schon klar wurde, dass sie sich nach drei Terroranschlägen nicht auf dieses Monothema würde beschränken können.

Großbritannien wählt - der Tag in Bildern
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In Großbritannien sind in den vergangenen Jahren die sozialen Ängste größer geworden. Viele Menschen haben Ängste vor sozialen Abstiegen und Unsicherheit. May hatte als Innenministerin 20.000 Polizeistellen gestrichen. Ihr Herausforderer hatte dies im Wahlkampf nach den jüngsten Anschlägen immer wieder angesprochen. Er hat weiter soziale Themen wie Alterssicherung, Kranken- und Pflegeversicherung angesprochen. Er ist auf die Jugend zugegangen und hat sich gegen Studiengebühren ausgesprochen.

May kam dagegen immer wieder auf den Brexit zurück. Sie sah in ihm das Schicksalsthema, ohne aber zu diskutieren, was der Brexit für das Leben jeden einzelnen Bürgers bedeutet. Sie hat jede Diskussion über die Risiken abgeblockt und die Ängste der einfachen Leute, die sich von der Globalisierung abgehängt fühlen, nicht ernst genommen.

Das Ergebnis der vorgezogenen Parlamentswahl hat Großbritannien weiter gespalten. Die Wahl hat May in die Schranken gewiesen und den Beginn einer turbulenten Phase der britischen Politik eingeläutet. Auch die Europäische Union kann nicht frohlocken. Sie hat es mit einer Regierungschefin (wenn sie es denn bleibt) zu tun, die massiv geschwächt ist. Sie ist auf Meinungsumfragen und Stimmungen reingefallen, die ihr das Gegenteil vorhergesagt hatten.

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