Vor dem Brexit-Referendum Die Briten - unsere liebsten Europäer

Düsseldorf · Deutsche und Briten sind sich seit Jahrhunderten nahe - viel näher als Deutsche und Franzosen. Möglichst enge Beziehungen zwischen beiden Nationen sind nicht nur wünschenswert, sie sind historisch notwendig. Ein Essay.

 Küsschen für Europa (hier bei einem Kuss-Marathon in Berlin am 19. Juni): Nähe zum Nachbarn auf der Insel

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Foto: dpa, car bsc

Es gibt diesen Sketch der britischen Komiker von Monty Python, in dem Adolf Hitler vorkommt. Hitler hat es irgendwie in die Nachkriegszeit geschafft und tritt bei einer Unterhaus-Nachwahl in Südwest-England an. Er heißt jetzt Hilter; bei sich hat er Ron Vibbentrop und Reginald Bimmler. Auf Fantasiedeutsch ("We in the National Bocialist Party believe das Überleben muss gestammen sein mit der schneaky Armstrong-Jones") wirbt Hilter für seine Ziele, zu denen die Annexion des Nachbarorts gehört. Beim Bauerntrampel stößt zwar sein Plan auf Ablehnung, "boncentration bamps" zu errichten, aber der Börsenmakler ist schon recht angetan, und die ältliche Matrone meint, was "die Bimbos" angehe, habe Hilter ganz recht.

Man kann diese Groteske als weiteren Beleg der britischen Besessenheit mit der NS-Zeit und dem Zweiten Weltkrieg abbuchen, aber bei Monty Python reicht das natürlich nicht. Der Sketch ist auch ein Statement: Wir Tommys sind den Krauts ähnlich - auch wenn das in diesem Fall eine Selbstbezichtigung ist.

In diesen Tagen reden wieder alle über Großbritannien und sein Verhältnis zum Kontinent. Das ist gut, denn so lässt sich jenseits von Monty Python darauf hinweisen, dass Deutsche und Briten sich nahe sind, sehr nahe, näher als Deutsche und Franzosen. Man muss sich dafür gar nicht auf das glitschige Terrain vermeintlicher Nationalcharaktere begeben oder gar in den Sumpf der "Rasse", die Germanen und Angelsachsen vereine. Ein historischer Streifzug reicht völlig. Er wird zeigen: Ein Brexit wäre nicht nur ökonomisch und politisch fatal, er wäre auch schlicht geschichtsvergessen.

Frankreich ist unser Nachbar, Großbritannien indes eine Art Halbbruder, der ein paar Straßen entfernt lebt. Zu beiden sind die Verbindungen eng, aus unterschiedlichen, aber gleich guten Gründen. Es stimmt daher nicht, wie kürzlich der frühere britische EU-Botschafter Stephen Wall behauptete, dass für Deutschland gute Beziehungen zu Großbritannien stets nur wünschenswert, zu Frankreich aber unverzichtbar gewesen seien. Der Frankreich-Teil ist richtig; für Großbritannien aber gilt dasselbe, denn einer kann nicht ohne den anderen.

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Foto: http://politicalweb.co.uk/ Grafik: Ferl

Immer wenn die Deutschen und die Briten nicht miteinander konnten, war das eine schlechte Zeit für Europa. Zwei Weltkriege haben nicht nur Deutschland ruiniert, sondern auch die Briten um ihr Empire gebracht. 1945 war Großbritannien so ausgelaugt, dass es die Auflösung seines Reichs nur noch hinauszögern konnte. Trotz der "finest hour" 1940, als die Briten Europa retteten. Aber auch historischer Lorbeer welkt.

Franzosen und Deutsche haben sich wieder und wieder bekriegt und sind daraus am Ende zur Einsicht gelangt, nur Versöhnung biete Zukunft. Ihr Symbol ist Verdun. Deutschland und Britannien, das ist die Geschichte einer Nähe, die über wechselseitig zugefügtes und deshalb gemeinsames Leid, über Coventry und Dresden, weit hinausreicht. Die Bande wachsen seit der frühen Neuzeit. Von 1714 bis 1837 sind die Hannoveraner Welfen in Personalunion britische Könige; eine vergleichbare Verbindung zu Frankreich gibt es nicht.

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Am britischen Hof wirkt der Deutsche Georg Friedrich Händel, aus dem 1727 der Engländer George Frideric Handel wird. Bis heute genießt er auf der Insel größere Verehrung als in Deutschland - beim Halleluja aus dem "Messias" stehen die Briten auf. Königin Victoria ist nicht nur die "Großmutter Europas", sondern auch des deutschen Kaisers Wilhelm II., der den Kontinent 1914 in den Krieg gegen seinen Cousin Georg V. rutschen lässt. Die deutschstämmige Königsfamilie ändert deshalb 1917 ihren Namen von Sachsen-Coburg-Gotha in Windsor.

In Deutschland tobt derweil der Hass auf das "perfide Albion", der sich nicht nur aus der Empfindung speist, England sei der Hauptfeind, den man aber nicht richtig zu fassen bekomme, sondern auch aus der Erbitterung über die Vettern jenseits des Kanals, diese Krämerseelen, die lieber mit den Franzosen kämpfen. Noch in den 30er Jahren spukt im Kopf Hitlers (des richtigen Hitler) der Wunsch nach einem Bündnis mit London herum. Nach dem Krieg sind es die Beatles, die ihre ersten Schritte im Hamburger "Star-Club" machen. Und von der Sprache, die Deutsche und Engländer viel enger verbindet als Deutsche und Franzosen, war noch gar keine Rede. Vom Fußball auch nicht - mit epischen Spielen gegen England ließe sich ein Buch füllen. Für Frankreich reicht ein Kapitel: Sevilla 1982.

Eine auf den ersten Blick ganz unzeitgemäße Gemeinsamkeit schließlich bindet beide Völker noch enger zusammen. In England wie in Deutschland ist über die Jahrhunderte die Idee gewachsen und gelebt worden, es gebe einen Ordnungsrahmen jenseits der Nation, für den man verantwortlich sei. Auf Deutsch heißt dieser Rahmen "Reich", auf Englisch "Empire". Zumindest das Reich hat heute (zu Recht) einen üblen Beigeschmack, es stinkt nach Eroberung und Massenmord. Dabei war es im Mittelalter etwas ganz Anderes: die Idee einer Idee, der römischen Universalität, die man nach Norden übertragen sah. Das Empire sei Erbe Roms, lautete ganz ähnlich der neuzeitliche britische Konsens, und bringe das Licht der Zivilisation in die letzten Winkel der Welt. Dass dabei reichlich Rassismus im Spiel war, störte wenige. Es ist zugleich ironisch und folgerichtig, dass der ambitionierteste französische Versuch, ein ähnliches Reich zu gründen, 1815 bei Waterloo an Briten und Preußen scheiterte.

Von Reichsträumereien sind die Deutschen heute gründlich geheilt; sie haben imperialistische Energie in europäische Integrationsbegeisterung umgewandelt. Jenseits des Kanals hat das Gefühl, eine Aufgabe zu haben, noch deutlich mehr Kraft, nicht nur im Commonwealth. Vor ziemlich genau zehn Jahren sagte Schatzkanzler Gordon Brown, zur Britishness gehöre die Erkenntnis, "dass Britannien dem Rest der Welt etwas zu sagen hat über die Werte von Freiheit, Demokratie und die Würde der Menschen, für die man sich einsetzt". Der deutsche Schriftsteller Reinhold Schneider hat in diesem Sinn das "Inselreich" schon 1954 "das die Fahne Europas tragende Schiff vor gewittrigem Himmel" genannt, das inzwischen "an die Kontinente gekettet" sei.

Heute klingt uns das ein bisschen schwülstig; aber es stimmt ja. Die Ketten sind so dick, dass im Hochamt des britischen Imperialismus, den "British Sea Songs" in der "Last Night of the Proms" in London, inzwischen nach den britischen die deutschen Flaggen mit am häufigsten geschwenkt werden. Dass es so weit gekommen ist, ist ein großes Glück. Ein Nein der Briten zu Europa wäre ein historischer Aberwitz.

(fvo)
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