"Brexit" Tories wollen Antrag auf EU-Austritt offenbar bis 2017 hinauszögern

London · Die britischen Konservativen richten sich darauf ein, den EU-Austritt erst im Jahr 2017 zu beantragen. Die EU-Kommission ist verstimmt. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sagte, beim Austrittsverfahren gebe es "keine Zeit zu verlieren".

 Michael Gove will erst 2017 einen Antrag auf Großbritanniens Austritt aus der EU stellen.

Michael Gove will erst 2017 einen Antrag auf Großbritanniens Austritt aus der EU stellen.

Foto: dpa, ar jak pt

Großbritanniens Justizminister Michael Gove äußerte sich in dieser Frage am Freitag fast gleichlautend mit Innenministerin Theresa May, mit der er um die Nachfolge von Premierminister David Cameron rivalisiert. Im Falle seiner Wahl zum Premierminister wolle er nicht vor dem kommenden Jahr den EU-Austritt seines Landes in die Wege leiten, sagte Gove. "Wir kontrollieren den Zeitplan, wir machen es erst, wenn wir bereit sind", sagte Gove über die Aktivierung von Artikel 50, der die auf zwei Jahre angesetzten Austrittsverhandlungen einleitet. Gove ist einer der fünf Politiker der Tories, die Cameron nach dessen Rücktritt im Herbst beerben wollen.

Auch Goves Kabinettskollegin Theresa May hatte sich dafür ausgesprochen, den Antrag für den EU-Austritt erst im kommenden Jahr einzureichen. May und Gove sind vermutlich die chancenreichsten der fünf Bewerber. Knapp 52 Prozent der Briten hatten am Donnerstag vergangener Woche für den EU-Austritt gestimmt. Cameron kündigte daraufhin an, bis Oktober zurückzutreten.

Schulz: Ein Zögern schadet allen

EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) hatte Cameron am Wochenende aufgerufen, er solle schon beim EU-Gipfel in dieser Woche die Austrittserklärung abgeben. "Ein Zögern, nur um der Parteitaktik der britischen Konservativen entgegenzukommen, schadet allen", sagte Schulz.

Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) zeigte sich nun in einem Interview mit "Spiegel online" verärgert über Cameron und den früheren Londoner Bürgermeister Boris Johnson. Ihn ärgere "am meisten", dass "die beiden Hauptkontrahenten bei den Tories aus einem zunächst nur innerparteilichen Konflikt eine ausgewachsene Staats- und Regierungskrise in Großbritannien gemacht" und "damit auch der ganzen EU Schaden zugefügt" hätten, nun aber "die Verantwortung für die Folgen anderen" überließen, sagte Steinmeier.

Der deutsche Außenminister sagte, er sehe nicht, "wie man sich über das knappe, aber doch klare Votum des britischen Volkes hinwegsetzen könnte". Er hielte es für gut, "wenn in London so schnell wie möglich eine politisch legitimierte und handlungsfähige Regierung das Ruder übernehmen würde".

Die Entscheidung der Briten sei gefallen, sie könne "nicht hinausgezögert und nicht widerrufen werden", sagte der französische Präsident François Hollande. Ein rascher EU-Austritt würde "Unsicherheit und Instabilität vor allem in den Bereichen Wirtschaft und Finanzen vermeiden".

EU-Kommissionspräsident Juncker sagte, Großbritannien werde nach dem EU-Austritt keinen Zugang zum gemeinsamen Binnenmarkt erhalten, wenn es die Zuwanderung von Arbeitnehmern aus der Union beschränken wolle. Das Land müsse alle vier europäischen Grundfreiheiten akzeptieren, wenn es weiter von den Vorteilen des Binnenmarktes profitieren wolle, sagte Juncker in der Slowakei.

Die Freizügigkeit in der EU gilt für Dienstleistungen, Waren, Kapital und Personen. Der Versuch, die Zuwanderung aus EU-Staaten zu begrenzen, war das stärkste Motiv der Brexit-Befürworter, um für den EU-Ausstieg zu werben. Nach dem Austrittsvotum hatte Cameron beim EU-Gipfel am Dienstag gesagt, eine Reform der Freizügigkeitsregeln sei der "Schlüssel" für die Verhandlungen über die künftigen Beziehungen zur EU.

Der Kommissionschef führte in Bratislava Gespräche mit der slowakischen Regierung, die seit Freitag den halbjährlich wechselnden EU-Vorsitz innehat. Regierungschef Robert Fico sagte, er stimme mit Juncker in der Großbritannien-Frage vollkommen überein.

In Bratislava findet am 16. September ein Sondergipfel statt, auf dem die verbleibenden 27 EU-Staaten über ihre Zukunft beraten wollen. "Ich sage nicht, dass sich nichts ändern muss", sagte Juncker. "Aber Dinge, die in die richtige Richtung gehen, werden nicht geändert."

(felt/AFP)
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