Brexit-Kater in Großbritannien Queen fordert "ruhiges Nachdenken und Einkehr"

London · Tausende Briten haben am Samstag in London gegen den Brexit demonstriert. Erstmals schaltete sich auch das Königshaus indirekt in die Debatte ein. Queen Elizabeth II. mahnte zu Besonnenheit und Nachdenken.

 Die Queen sprach am Samstag vor dem Parlament in Schottland.

Die Queen sprach am Samstag vor dem Parlament in Schottland.

Foto: dpa, am cv

Die britische Königin sagte im schottischen Parlament: "Wir alle leben in einer zunehmend komplexen und fordernden Welt." Vor dem Hintergrund dieser sich rasch entwickelnden Welt sei es wichtig, "ruhig und gefasst" zu bleiben. Eine gute Führung zeichne sich auch dadurch aus, dass sie genügend Raum für "ruhiges Nachdenken und Einkehr" gebe.

Dies ermögliche "tiefere, kühlere Überlegungen" darüber, wie "Herausforderungen und Möglichkeiten" am besten angegangen würden. Die Queen äußert sich grundsätzlich nicht zu politischen Entwicklungen - ihre Worte wurden aber als Aufruf zur Besonnenheit nach dem Brexit-Votum gedeutet.

In London gingen indes Tausende Menschen auf die Straße, um ihrer Wut über den Brexit Luft zu machen. Die Menschenmenge zog durch London und am Regierungssitz des amtierenden Premiers David Cameron vorbei zum Parlament. Laut den Organisatoren nahmen 40.000 Menschen an der Demonstration teil.

Der Phantasie der EU-freundlichen Demonstranten waren keine Grenzen gesetzt. Viele waren gelb und blau bemalt, trugen Kleidung in den Farben der EU-Flagge oder schwenkten die Fahne. Sie sangen "Wir lieben Dich, EU" und texteten Lieder wie "Never gonna give you up" von Rick Astley in "Never gonna give EU up" um.

"Never gonna give EU up"

Der von den Organisatoren "Marsch für Europa" getaufte Protestzug startete im Hyde Park und zog friedlich durch die Straßen der britischen Hauptstadt. Als die Menge in der Downing Street vorbeikam, riefen einige Demonstranten "Schande über Dich" - in der Hausnummer Zehn hat Premier Cameron seinen Amtssitz.

Die Briten hatten am 23. Juni überraschend mit knapp 52 Prozent für einen EU-Austritt ihres Landes gestimmt und den gesamten Kontinent mit dem Votum schockiert. Inzwischen unterzeichneten mehr als vier Millionen Menschen eine Petition, die ein neues Referendum über die Zukunft Großbritanniens in der EU fordert.

"Die 'Leave'-Kampagne hat die Menschen in die Irre geführt", sagte die 37-jährige Demonstrantin Casey, die gelbe und blaue Blumen im Haar trug. "Ich möchte die EU nicht verlassen." Der frühere TV-Produzent Nicholas Light forderte eine neue Volksabstimmung. "Jeder weiß, dass wir dann für einen Verbleib stimmen werden." Auch der in den EU-Farben gekleidete Demonstrant David sagte: "Wir können noch etwas tun, solange Artikel 50 noch nicht aktiviert ist."

Der Musiker Bob Geldof rief die EU-Befürworter auf, ihren Unmut nicht nur im Internet kundzutun, sondern auf die Straße zu gehen. "Kommt raus, ruft Eure Freunde, Arbeitskollegen und Nachbarn zum Handeln auf", sagte er.

Artikel 50 der EU-Verträge regelt den Austritt eines Landes aus der EU. Damit er zum Tragen kommt, muss die britische Regierung aber erst einmal offiziell einen Austrittsantrag stellen. Wann das nach geschieht, ist allerdings unklar. Cameron hatte nach der Volksabstimmung seinen Rücktritt bis zum Herbst angekündigt. Mehrere potenzielle Nachfolger ließen bereits erkennen, dass sie es mit dem Antrag nicht allzu eilig haben.

(AFP)
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