Brexit-Referendum Die Briten sind raus

London · Großbritanniens Wähler haben sich für den Ausstieg aus der Europäischen Union entschieden. Die Mehrheit stimmte für den Brexit. Premier David Cameron kündigte seinen Rücktritt an.

 Brexit-Befürworter feiern bei eine Wahlparty die Erfolge beim EU-Referendum.

Brexit-Befürworter feiern bei eine Wahlparty die Erfolge beim EU-Referendum.

Foto: dpa, tba

Monatelang haben EU-Gegner und -Befürworter in Großbritannien um Stimmen gekämpft. Mit Schließung der Wahllokale auf der Insel Donnerstagnacht um 22 Uhr britischer Zeit ging das Zittern auf beiden Seiten los. Nach den letzten Prognosen hatte es noch so ausgesehen, als würden die Brexit-Gegner knapp mit 52 Prozent vorne liegen.

Die Märkte reagierten auf die Prognose positiv, das Pfund stieg da noch kräftig. Der Kopf der Brexit-Bewegung, Nigel Farage, hatte sogar zugestanden, dass es wohl auf einen Verbleib in der EU hinauslaufe. Er werde sich aber nicht geschlagen geben, sagte der Chef der rechtspopulistischen Partei Ukip.

Der Abgeordnete Robert Syms veröffentlicht kurz nach dem Ende der Wahl einen Brief von 84 konservativen Tories, die für den Brexit sind, an Premierminister David Cameron: Egal was komme, er habe das Mandat und die Pflicht, im Amt zu bleiben. Einer der Unterzeichner: Boris Johnson, Camerons Hauptgegner im Brexit-Wahlkampf.

Um 23.37 Uhr war es dann soweit. Der erste Wahlkreis war ausgezählt. Gibraltar, britisches Überseegebiet im Süden Spaniens, will mit großer Mehrheit in der EU bleiben. Doch das Bild änderte sich schnell. Erste Wahlkreise gehen deutlicher als gedacht an das Brexit-Lager.

Zum ersten Mal brandet bei der Wahlparty von leave.eu um kurz nach 2 Uhr am Freitagmorgen Jubel auf, als das Ergebnis aus Swansea bekannt wird. Es ist der erste Wahlkreis, der für den Austritt gestimmt hat und von dem das vorher keiner erwartet hätte.

Als Farage die Wahlparty der Brexit-Anhänger verlässt, jubelt er bereits und zeigt sich siegessicher. Langsam aber sicher zeichnet sich das Ja für den Brexit ab: Nach Auszählung von mehr als zwei Dritteln der Wahlkreise liegt das Brexit-Lager gegen vier Uhr morgens deutlich vorn.

Zwei Stunden später steht es dann fest. Die Briten haben den Austritt aus der EU gewählt und schocken Europa und die Welt. Mit 16,8 Millionen Stimmen liegen die Brexit-Befürworter uneinholbar vorn. Der deutsche Vizekanzler Sigmar Gabriel äußerte sich beim Kurznachrichtendienst Twitter schockiert.

Die britische Währung fällt auf den tiefsten Stand seit 1985 — ein Pfund ist nur noch 1,35 US-Dollar wert. Neben Hollande und Gabriel zeigten sich auch der Chef der Europäischen Kommission, Jean-Claude Juncker, traurig über den Ausgang des Referendums. Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte: "Es gibt nichts drum herum zu reden. Der heutige Tag ist ein Einschnitt für Europa."

Das vorläufige Endergebnis liegt bei 51,9 Prozent für den Austritt aus der EU, das sind 17,4 Millionen Wähler.

Infografik: Die Briten verlassen die EU | Statista
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Die Ergebnisse für Schottland und Nordirland geben allerdings ein anderes Bild wieder. 62 Prozent der Schotten und 55,8 Prozent der Nordiren haben gegen einen Brexit gestimmt. Dies Ergebnis dürfte das Vereinigte Königreich weiter spalten. Erste Statistiken zeigen auch, dass etwa 60 Prozent der zwischen 18- und 24-Jährigen gegen den Brexit gestimmt haben. Bei den über 65-Jährigen war es genau umgekehrt.

Farage äußerte sich angesichts des Sieges euphorisch. Der Triumph der Brexit-Befürworter werde das gescheiterte Projekt der Europäischen Union in die Knie zwingen. "Wir werden das geschafft haben, ohne kämpfen zu müssen — ohne dass auch nur eine einzige Kugel abgefeuert werden musste", sagte Farage am Freitag zum Ausgang des Brexit-Referendums.

"Über einem unabhängigen Vereinigten Königreich bricht das Morgenrot herein", rief Farage unter dem Jubel seiner Anhänger in London. "Wenn die Voraussagen nun stimmen, wird dies ein Sieg für echte Leute, für gewöhnliche Leute, für anständige Leute sein." Den 23. Juni rief er zum "Independence Day", also zum Unabhängigkeitstag, aus.

Das Pfund lag da bereits nur noch bei 1,33 Dollar. Auch die deutsche Wirtschaft reagiert auf den Brexit. Der deutsche Leitindex Dax sackte zum Börsenstart am Freitag um 9,98 Prozent auf 9233,48 Punkte ab. Einige der Dax-Unternehmen wie Deutsche Bank und ThyssenKrupp verloren zweistellig. Dafür legen die Menschen ihr Geld in Staatsanleihen an. Auf diese gibt es mittlerweile Minusrenditen.

Der britische Premierminister David Cameron nahm sich gut eineinhalb Stunden Zeit, bis er auf das Ergebnis öffentlich reagierte. Vor der Downing Street 10 erklärte er, dass er den Weg für eine neue Regierung frei machen werde. "Ich glaube nicht, dass ich der Kapitän sein sollte, der das Land in die neue Richtung führt", sagte Cameron. Die nächsten drei Monate wird er aber im Amt bleiben, damit die Regierungsarbeit weiterlaufen könne.

EU-Parlamentschef Martin Schulz sagte nach einem Krisentreffen in Brüssel: "Beide Seiten sollten gegenseitig ihre unterschiedlichen Ansichten respektieren. Wir sind sehr traurig über die Entscheidung der Wähler."

Bundeskanzlerin Angela Merkel, Frankreichs Präsident François Hollande und EU-Gipfelchef Donald Tusk aus Polen führten ein Krisentelefonat. Am Dienstag werden sich die Regierungschefs zum EU-Gipfel treffen.

(rent/dpa)
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