Analyse Erst das Land, dann die Partei

Berlin · Gastbeitrag Unionsfraktionschef Volker Kauder wirft der SPD vor, sich bei der Wirtschaftspolitik zu sehr mit sich selbst beschäftigt zu haben. Er fordert: Der Wirtschaftsminister muss wieder Anwalt der vernünftigen Belange werden.

Die große Mehrheit der Deutschen ist mit ihrer wirtschaftlichen Lage so zufrieden wie lange nicht. Kein Wunder: 2017 wird nach allen Prognosen unsere Wirtschaft das achte Jahr in Folge wachsen. Die Arbeitslosigkeit ist historisch niedrig. Die Kaufkraft wächst.

Die Aussichten sind weiter gut. Aber es ist kein Naturgesetz, dass das immer so bleibt. Der Dieselskandal zeigt, wie schnell eine Branche in Schwierigkeiten kommen kann. Auch Aufschwungs-Faktoren wie der günstige Ölpreis und der niedrige Euro-Wechselkurs könnten sich irgendwann abschwächen. Ob der Welthandel weiter frei bleibt, ist fraglich, weil man nie weiß, was Präsident Donald Trump als nächstes macht. All das tritt jedoch hinter einer Entwicklung zurück: Die Digitalisierung verändert momentan die Wirtschafts- und Arbeitswelt auf der ganzen Welt. Auch in Deutschland müssen sich die Firmen in den nächsten Jahren neu bewähren - zuallererst die Autoindustrie - Stichwort: autonomes Fahren.

Es gibt also genug Gründe, in diesem Wahlkampf über die Wirtschaft zu reden, auch wenn in den vergangenen Wochen andere Themen im Vordergrund standen. Lassen sie uns streiten, wie wir das Wirtschaftswachstum erhalten, von dem nicht zuletzt Vollbeschäftigung und Stabilität der sozialen Sicherungssysteme abhängen.

Klar ist: In der neuen Wahlperiode brauchen wir eine neue Konzentration auf die Wirtschaftspolitik. Der Bundeswirtschaftsminister muss wieder Anwalt der vernünftigen Belange der Wirtschaft werden - insbesondere der kleinen und mittelständischen Unternehmen. Sigmar Gabriel war als Bundeswirtschaftsminister vor allem mit der Durchsetzung des SPD-Programms in der Koalition beschäftigt. Das Motto der SPD-Wirtschaftspolitik lief im Zweifel immer darauf hinaus: Erst die Partei, dann das Land. Man sah das in der Debatte um das EU-Freihandelsabkommen mit den USA. Das war in den Verhandlungen um die Begrenzung der Kosten für die erneuerbaren Energien zu spüren. Diese Einstellung muss sich ändern. Es geht aber auch um Inhalte!

Zunächst: Wir dürfen den Unternehmen in dieser Zeit des Wandels nicht die Kraft zum Investieren nehmen. Zu Recht werden mehr öffentliche Investitionen gefordert. Die Union will dementsprechend bis 2025 Deutschland zu einem Glasfaserland machen, um das schnelle Internet in allen Regionen zu realisieren. Genauso wichtig sind aber die Investitionen in den Betrieben. Wir wollen die Arbeitnehmer durch Korrekturen bei der Einkommensteuer und durch den Abbau des Solidaritätszuschlags entlasten. Das ist bekannt. Aber auch die kleinen und mittleren Unternehmen dürfen wir nicht mehr belasten, sondern wollen sie durch den Abbau des Solidaritätszuschlags auch Schritt für Schritt entlasten. In den Zeiten eines grundlegenden Wandels müssen gerade die Personengesellschaften genügend Mittel haben, um den Betrieb fit halten zu können. Die Steuererhöhungspläne der SPD würden genau das Gegenteil bewirken. Und die SPD denkt ja auch noch über die Wiedereinführung der Vermögensteuer und Korrekturen bei der Erbschaftsteuer nach.

Außerdem sollen nach unseren Vorstellungen künftig Ausgaben für Forschung und Entwicklung besser von der Steuer abgesetzt werden können. Die Ausgestaltung der Förderung wird schwierig, da es möglichst keine Mitnahmeeffekte geben soll. Denkbar ist, junge Unternehmen über Steuergutschriften zu begünstigen, was bedeuten würde, dass sie selbst in Verlustjahren eine gewisse steuerliche Erstattung ihrer Forschungs-Aufwendungen bekämen. Die Firmen sollen zudem zwischen direkter und indirekter Forschungsförderung wählen dürfen.

Weiter wissen wir nur zu gut um die Lasten durch Bürokratie. In der großen Koalition wurden zwar erste Schritte gegen immer mehr Bürokratie unternommen. Das reicht aber nicht. Wir müssen die Zahl der Gesetze um zehn Prozent reduzieren. Der Gesetzgeber - auch der in Brüssel und Straßburg - muss sich mehr fragen: Ist eine Regelung wirklich notwendig?

Die größten Sorgen machen den Unternehmern, wie ich immer wieder höre, die fehlenden Fachkräfte. Jeder Betrieb wird angesichts der Digitalisierung künftig noch mehr als heute auf gut ausgebildete Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer angewiesen sein. Gerade hier muss der künftige Wirtschaftsminister Akzente setzen.

Die Fachkräfte müssen nach wie vor in erster Linie aus unserem Land kommen. Das wird dann gelingen, wenn für eine möglichst optimale Bildung für jeden Einzelnen gesorgt wird. Die Schulen müssen besser werden. Die praxis- und unternehmensnahe Fortbildung für die Arbeitnehmer gilt es auszubauen. Hier müssen die Firmen mitziehen. Dabei zählt nicht nur der akademische Abschluss. Wir wollen auch die jungen Meister unterstützen, indem die Gebühren für deren Prüfung gestrichen werden.

Die Wirtschaft wird zudem im Ausland aktiv werden müssen. Wir können froh sein, dass viele Arbeitnehmer aus anderen EU-Staaten bereits zu uns gekommen sind, die manche Lücke geschlossen haben. Wir brauchen weiter Fachkräfte aus Nicht-EU-Staaten. Bei einem Grundsatz soll es dabei bleiben: Es können nur solche Fachkräfte angeworben werden, für die es in Deutschland auch ein Stellenangebot gibt. Wir werden die Regelungen in einem Fachkräftezuwanderungsgesetz jedoch künftig übersichtlicher machen.

Lassen Sie uns also über die Wirtschaft reden - bis zum 24. September und erst recht danach. Eine soziale Marktwirtschaft ist dann erfolgreich, wenn ihr Motor läuft - und das sind die Betriebe. Das schafft die Basis, dass es den Menschen und dem Land insgesamt weiter gutgeht.

(RP)
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