Ramadi Erst beten, dann kämpfen

Ramadi · Lange Zeit galt Ramadi als Hochburg des IS. Nun hat die irakische Armee die Stadt zurückerobert. Ein Besuch an der Front.

Am gefährlichsten Punkt der Frontlinie ist es mäuschenstill. Brigadegeneral Ali Abdul Hussein Khadim kniet auf dem für ihn im Sand ausgebreiteten Teppich und betet zu Allah. Vorher hat der Kommandant der irakischen Armee noch schnell den Staub von Gesicht, Händen und Füßen gewaschen. Ein Ritual, das Millionen Muslime zur selben Zeit befolgen. Der Koran besagt, dass sie sauber vor dem Herrn niederknien sollen. Es ist kurz vor zwölf Uhr Mittag. "Auch Daesch betet jetzt", sagt Mohammed, der Fahrer des Generals. "Zwischen 14 und 17 Uhr ballern sie dann los."

Wir sind im Norden von Falludscha und tasten uns an Ramadi heran. Dort toben seit Monaten erbitterte Kämpfe zwischen Daesch, wie die Iraker die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) nennen, den Regierungstruppen und Milizen der sogenannten Haschid Schaabi, den "Volksmobilisierungskräften". Immer wieder hieß es, die Rückeroberung Ramadis stehe kurz bevor. Und immer wieder behielt der IS die Oberhand. Doch diesmal sind sich die irakischen Offiziere sicher: Jüngst gab die irakische Regierung bekannt, dass Ramadi, bis vor Kurzem Hochburg des IS westlich von Bagdad, eingenommen sei.

Während der General noch betet, zeigt sein Fahrer durch ein Guckloch im Unterstand, warum dieser Ort der gefährlichste im Frontabschnitt ist. Ein kleiner Bach hat eine glatte Ebene geschaffen, über die die IS-Kämpfer problemlos auf die Truppe von Ali Hussein Khadim zielen können. "Die haben hervorragende Scharfschützen", sagt Saed, ein Soldat, der im Unterstand Wache schiebt. Insgesamt habe er in den vergangenen vier Monaten 56 Mann seiner Brigade verloren, erzählt der General später. Seine Einheit kontrolliert die Provinz Anbar, dessen Hauptstadt Ramadi ist, von der Stadtgrenze Bagdads an. Khadim und seine 3500 Soldaten sind verantwortlich für den internationalen Flughafen, das Gebiet bis kurz vor Falludscha und nördlich Richtung Ramadi.

"Wir haben Ramadi zuerst eingekreist", erklärt der Kommandant die Strategie des Militärs, "dann haben wir uns Millimeter für Millimeter vorgekämpft." Die Vorgehensweise sei eine andere gewesen als bei früheren Angriffen. Bisher habe man blitzartig zugeschlagen und anschließend Mühe gehabt, die Stellungen zu halten. Das sei in Kharma so gewesen, einer Stadt zwischen Falludscha und Ramadi, die erst vor wenigen Wochen von Khadims Brigade durch einen Blitzangriff zurückerobert wurde und immer noch unter Beschuss liegt. Als er das sagt, explodiert eine Mörsergranate auf einem Sandsack hinter der Frontlinie. Durch die auf einem Eisenstab installierten Kameras kann man sehen, woher das Geschoss kam. "Sie verwenden auch Raketen und selbst gebastelte Sprengsätze mit Fernzündern", sagt der General und schaut auf den Monitor im Unterstand. Die Kameras überwachen den gesamten Frontverlauf und zeigen, wenn sich auf der anderen Seite etwas bewegt. Denn auch wenn das Zentrum von Ramadi nun in der Hand der Regierungstruppen ist, gehen die Kämpfe im Nordosten der Stadt und in der Umgebung weiter.

Anbar ist die flächenmäßig größte Provinz des Irak und fast komplett in der Hand des IS. Als erste Stadt überhaupt fiel Falludscha schon im Januar 2014 unter die Kontrolle der Dschihadisten. Vorangegangen waren monatelange Demonstrationen der mehrheitlich sunnitischen Bewohner gegen die Diskriminierung durch die schiitisch dominierte Regierung in Bagdad und gegen ihren damaligen Premierminister Nuri al Maliki. Nach dem Abzug der US-Truppen Ende 2011 hielt Maliki die Zusagen nicht ein, die Sunniten in die Sicherheitskräfte zu integrieren und ihnen auch politische Mitsprache einzuräumen.

So fiel die Propaganda der sunnitischen Dschihadisten, man wolle die ungerecht Behandelten rächen, auf fruchtbaren Boden. Fast ohne Gegenwehr konnte der IS Falludscha erobern. Fünf Monate später überfielen die Dschihadisten dann Mossul, Tikrit und weitere Städte im Nordirak. Langsam und weitgehend von der Öffentlichkeit unbeachtet breitete sich der Islamische Staat in der ganzen Provinz aus, bis er im Mai schließlich die Provinzhauptstadt Ramadi einnahm. Die Stadt mit 270.000 Einwohnern gehört zu den wichtigsten Hochburgen der Extremisten.

Jeden Morgen fahren Brigadegeneral Khadim und sein Fahrer Mohammed die Frontlinie ab und sprechen mit den Offizieren. Er sei ein guter Kommandant, sagen seine Untergebenen, höre sich die Probleme an, sorge für Abhilfe und klopfe anerkennend auf die Schultern. Das stärke die Moral der Truppe - was nötig ist. Denn beim Angriff des IS auf Ramadi im Mai liefen viele Soldaten einfach weg. Zuvor hatten die Dschihadisten hohe Offiziere der irakischen Armee auf einer nahegelegenen Militärbasis umgebracht, die Truppe blieb ohne Kommando. Zudem operierte das Oberkommando in Bagdad völlig unstrukturiert, eine Strategie fehlte. Khadim hat seinen Offizieren daraufhin empfohlen, die Sterne an den Schulterklappen zu verdecken. Der IS habe es auf die hohen Ränge abgesehen, sagt er. Seitdem die Amerikaner verstärkt eingreifen und der Einfluss einiger Schiitenmilizen zurückgegangen ist, habe sich die Lage verbessert. Für ihre Beteiligung am Kampf um Anbar haben die US-Streitkräfte zur Bedingung gemacht, dass sich die vielen schiitischen Milizionäre aus der mehrheitlich von Sunniten bewohnten Provinz zurückziehen.

Auch Khadim ist dafür, dass die Schiitenmilizen aus der Provinz Anbar verschwinden. In seinem Verantwortungsbereich gebe es keine mehr, sagt der General, der selbst Schiit ist. Nach dem Fall Ramadis zogen sich viele schiitische Kämpfer in die Provinz zurück. Plünderungen, Raubüberfälle und Angriffe auf die sunnitische Bevölkerung waren die Folge. Khadim hatte Mühe, die Wogen zu glätten. Auch seine Männer wurden beschuldigt. Inzwischen sind einige schiitische Kämpfer in die Armee integriert. Der Sieg in Ramadi gilt darum nicht nur als militärischer Erfolg, sondern für Armee und Regierung zugleich als politisches Signal.

(RP)
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