Ankara Erdogan lässt mehr als 100 Wissenschaftler verhaften

Ankara · Die türkischen Behörden gehen erneut gegen regierungskritische Akademiker vor. Die Istanbuler Staatsanwaltschaft erließ Haftbefehle gegen 103 Wissenschaftler der Technischen Universität Yildiz. Ihnen würden Verbindungen zur Bewegung des Predigers Fethullah Gülen vorgeworfen, berichtete der Sender NTV unter Berufung auf Justizkreise. Gülen, ein früherer Verbündeter und jetziger Widersacher von Staatschef Recep Tayyip Erdogan, wird von der Regierung für den Putschversuch vom Juli verantwortlich gemacht. Bei mehreren Razzien wurden gestern 73 der gesuchten Akademiker verhaftet. Nach den restlichen wurde noch gefahndet. Auf Weisung der Staatsanwaltschaft Ankara wurden weitere 31 Wissenschaftler in 16 verschiedenen türkischen Provinzen verhaftet.

Seit dem gescheiterten Coup hat die Regierung nach einer Dokumentation der Internetseite "Turkey Purge" ("Säuberung in der Türkei") bereits 2099 Schulen, Universitäten und Studentenheime schließen lassen. 6337 Akademiker wurden entlassen. Das türkische Erziehungsministerium suspendierte bisher 41.667 Lehrer staatlicher und privater Schulen. Die Folge: An vielen Schulen fallen Unterrichtsstunden aus.

Auch in den Streitkräften setzt Erdogan seine "Säuberungen" fort. Diese Woche wurden weitere 310 Offiziere unehrenhaft entlassen. Seit dem Putschversuch wurden 4719 Soldaten suspendiert, darunter mehr als ein Drittel aller Generäle und Admiräle sowie fast die Hälfte der Kampfpiloten. Händeringend sucht das Militär jetzt vor allem Flugzeugführer.

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg bestätigte, dass einige türkische Offiziere, die auf Posten bei der Allianz abgeordnet waren, in den jeweiligen Einsatzländern Asyl beantragt hätten, weil sie in ihrer Heimat politische Verfolgung fürchten. Auch in Deutschland haben bereits türkische Soldaten Asyl beantragt, darunter mehrere vom Nato-Stützpunkt Ramstein in der Pfalz.

Stoltenberg wird morgen nach Istanbul reisen. Bei der Parlamentarischen Versammlung der Nato will er sich unter anderem mit nationalen Parlamentsabgeordneten austauschen. Die Versammlung soll den Dialog mit den nationalen Volksvertretungen stärken.

Wie viele türkische Soldaten bereits um politisches Asyl nachgesucht haben, ist offiziell nicht bekannt. Unter dem Strich steigt aber in Deutschland die Zahl der Asylbewerber aus der Türkei, was offenbar mit den "Säuberungen" nach dem Putschversuch Mitte Juli zu tun hat. Während in der ersten Jahreshälfte pro Monat rund 350 türkische Asylsuchende registriert wurden, waren es im August 375, im September 446 und im Oktober 485. Das berichteten die Zeitungen der Funke-Mediengruppe unter Berufung auf Zahlen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge.

(RP)
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