Istanbul Erdogan gerät innenpolitisch unter Druck

Istanbul · Der Prozess gegen die "Cumhuriyet"-Journalisten wird zur Belastung für die türkische Regierung.

Recep Tayyip Erdogan gibt weiter Vollgas. Er habe kein Vertrauen mehr in die westlichen Verbündeten der Türkei, sagte Erdogan laut Medienberichten vor wenigen Tagen hinter verschlossenen Türen in einer Rede vor Politikern seiner Regierungspartei AKP. Auch innenpolitisch sieht sich der Präsident von Gegnern umgeben und will Posten in der AKP verstärkt mit treuen Gefolgsleuten besetzen. Doch selbst in seiner eigenen Anhängerschaft wachsen Zweifel am harten Kurs. Insbesondere der Prozess gegen die Journalisten der Zeitung "Cumhuriyet" und der Streit mit Deutschland werden für den Präsidenten zur politischen Last.

Ein Gericht in Istanbul hatte am Freitagabend sieben von elf inhaftierten "Cumhuriyet"-Journalisten für die Dauer des Verfahrens auf freien Fuß gesetzt, für die vier prominentesten Erdogan-Kritiker der Zeitung jedoch eine Fortsetzung der teilweise seit neun Monaten andauernden Untersuchungshaft angeordnet. Die Tatsache, dass sich die Anklage gegen die säkularen Medienvertreter auf den absurden Vorwurf einer Zusammenarbeit mit dem islamischen Prediger Fethullah Gülen stützt, entlarvt das Verfahren nach Ansicht vieler Beobachter als Schauprozess, mit dem Kritiker mundtot gemacht werden sollen.

Selbst Erdogans früherer politischer Weggefährte und Ex-Präsident Abdullah Gül kritisiert öffentlich die Inhaftierung der Journalisten durch die von der Regierung kontrollierte Justiz. Die Stellungnahme des in der AKP nach wie vor hochangesehenen Gül zeigt, dass der Unmut bei den türkischen Konservativen weit verbreitet ist. Auch Abdülkadir Selvi, ein für seine engen Kontakte zur Regierung bekannter Kolumnist der Zeitung "Hürriyet", verlangt die Freilassung der regierungskritischen Kollegen.

Die Diskussion über den "Cumhuriyet"-Prozess trifft die Regierung zu einem Zeitpunkt, an dem sie wegen ihres Taktierens im Streit mit Deutschland ohnehin in der Kritik steht. So bemüht sich das Kabinett zwar, deutsche Investoren zu beruhigen, angesichts der Berliner Warnungen vor willkürlichen Verhaftungen von Bürgern in der Türkei. Zugleich muss Ankara eingestehen, dass den deutschen Behörden tatsächlich eine Liste mit angeblich terrorverdächtigen Unternehmen zugeleitet wurde - Erdogan spricht von einem Missverständnis, das inzwischen bereinigt sei.

Während Regierungspolitiker in Reden über die Deutschen herziehen, legte sich Parlamentspräsident Ismail Kahraman laut Oppositionsangaben einen neuen Dienst-Mercedes im Wert von 1,3 Millionen Euro zu.

(RP)
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