Brenner Endstation Brenner

Brenner · Mit dem Bau einer Grenzanlage an der Alpenautobahn wappnet sich Österreich gegen den Flüchtlingsstrom. Italien ist empört.

 Ein österreichisches Grenzschild am Brenner ist mit dem Wort "Welcome", also "Willkommen", übersprüht.

Ein österreichisches Grenzschild am Brenner ist mit dem Wort "Welcome", also "Willkommen", übersprüht.

Foto: ap

Noch sind es kleine Eingriffe mit großer Bedeutung. Straßenarbeiter haben auf der österreichischen Seite des Brennerpasses mit der Demontage einiger Leitplanken begonnen. Straßenmarkierungen wurden beseitigt, unebene Stellen ausgebessert. In den nächsten Tagen werden dann die Fundamente für einen überdachten Wachposten gelegt, damit die bald anrückenden Grenzer auch bei schlechtem Wetter kontrollieren können.

Mit dem Beginn des Aufbaus einer Grenzanlage am österreichisch-italienischen Grenzübergang rückt das Szenario von eines durch Zäune gegen Flüchtlinge zerstückelten Europa näher. Erst später, ab 1. Juni, sollen systematische Kontrollen und der Aufmarsch von Soldaten folgen. So hatte es die österreichische Regierung bereits vor Tagen angekündigt. Die Rede ist auch von einem 250 Meter langen Zaun, der an der Grenze errichtet wird. Nach der Blockade der Balkanroute im März beginnt Österreich nun die Abschottung gegenüber Italien.

Hintergrund sind Befürchtungen, Tausende Flüchtlinge könnten im Frühsommer von Libyen die Fahrt über das Mittelmeer nach Italien wagen. Von etwa 300.000 Menschen, die in Libyen auf die Überfahrt warteten, ist in der österreichischen Regierung die Rede.

"Ich weiß auch nicht genau, was geschieht, wenn die Menschen hier nicht mehr über die Grenze gelassen werden", sagt Franz Kompatscher, Bürgermeister der Gemeinde Brenner. Eine massenhafte Aufnahme von Flüchtlingen etwa in Zeltlagern sei am Brenner nicht zu bewältigen. Die EU-Kommission zeigte sich "sehr besorgt" über die Vorbereitungen. Der Brenner-Pass sei "zentral für die Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Union". In Italien werden nun teilweise Szenen wie aus dem griechischen Idomeni mit massenhaft festsitzenden Flüchtlingen befürchtet. Diesmal wäre Südtirol betroffen, eine der historisch sensibelsten und bei Urlaubern aus dem Norden beliebtesten Regionen.

Die Südtiroler Landesregierung arbeitet seit Wochen an einem Notfall-Plan zur Unterbringung von Flüchtlingen. "Ein Problem gibt es, wenn der Brenner zum Flaschenhals wird", sagt Bürgermeister Kompatscher. Nach offizieller Lesart sollen die strengeren Grenzkontrollen in Österreich je nach Andrang beginnen. Die Sicherheitsbehörden beider Länder haben verabredet, dass im Fall des Falles nur eine begrenzte Zahl von Migranten bis zum Brenner durchgelassen werden soll. Ob das realistisch ist, ist heute schwer zu sagen.

In Südtirol, das nach dem Ersten Weltkrieg Italien zugeschlagen wurde und seit 1972 umfassende Selbstverwaltungsrechte hat, mehren sich die kritischen Stimmen. "Es besteht das Risiko, dass Europa hier zugrunde geht", sagt der Südtiroler Landeshauptmann Arno Kompatscher. Der Brenner, an dem es seit 1998 keine Grenzkontrollen mehr gibt, drohe wieder zu einem "Symbol der Trennung" zu werden.

Der österreichische Bundespräsident Heinz Fischer versuchte die Befürchtungen bei einem Besuch in Prag zu zerstreuen. Er verstehe die Pläne "nicht so, dass wir am Brenner eine Mauer machen oder einen Stacheldraht", sagte Fischer. Die Vorbereitungen zählten zu einem "Grenzmanagement, das den freien Waren- und Personenverkehr möglichst wenig behindert", sagte er.

In Rom stoßen die österreichischen Vorbereitungen auf scharfe Kritik. Der Bau einer Barriere am Brenner sei "ein gravierender Fehler" und eine Verletzung europäischer Regeln, sagt Sandro Gozi, für die EU zuständiger Staatssekretär der italienischen Regierung. Österreichs scheidende Innenministerin Johanna Mikl-Leitner hatte in Rom gefordert, Italien müsse die "Politik des Durchwinkens" beenden. Italien hat die meisten Migranten Richtung Norden weiterreisen lassen. Derzeit passieren täglich nur wenige Flüchtlinge die Grenze.

Grund für den scharfen Ton aus Rom dürfte aber der Blick auf das Mittelmeer sein. Am Wochenanfang zog die italienische Küstenwache mehr als 2000 Flüchtlinge an Land. Seit Jahresbeginn sind über 20.000 Menschen von Libyen über das Meer nach Süditalien gekommen, 50 Prozent mehr als im Jahr 2015. Wegen der ruhigeren See nehmen die Überfahrten im Frühsommer zu. Die aktuellen Zahlen deuten schon jetzt darauf hin, dass die Zahl der Ankömmlinge aus dem Jahr 2015 (153.800) übertroffen wird.

(RP)
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