Taipeh Eine 59-Jährige ist die mächtigste Frau der chinesischen Welt

Taipeh · Taiwan bekommt seine erste Präsidentin. Sie wird es nicht allen recht machen können. Peking zieht schon die Daumenschrauben an.

Mit schulterlangen Haaren und randloser Brille ist sie ist eine unauffällige Erscheinung. Sie wird nicht gern laut. Sie lebt alleine mit zwei Katzen. Und sie ist bald die mächtigste Frau der chinesischsprachigen Welt: Tsai Ing-wen, die am 20. Mai als neue Präsidentin Taiwans vereidigt wird.

Es ist ein schweres Amt, das die 59 Jahre alte Juristin antritt. 23 Millionen Taiwaner erwarten, dass Tsai das Ruder herumreißt und dem wirtschaftlich stagnierenden Tigerstaat mit seinen 23 Millionen Einwohnern neuen Schwung verleiht. Von der riesigen Volksrepublik China dagegen wird sie voller Misstrauen beäugt. Und aus Sicht der USA, der inoffiziellen Schutzmacht, kann Taiwan mit seinem komplizierten Verhältnis zu China schnell vom Verbündeten zum Unruhestifter werden.

Viel Verantwortung für eine Frau, die noch vor acht Jahren niemand auf dem Plan hatte. Ähnlich wie einst Angela Merkel im CDU-Spendenskandal war außer Tsai niemand im Sicht, der einen Neuanfang versprach, als eine alte Männergarde ihre Partei 2008 an den Abgrund manövriert hatte. Aus der Notlösung wurde erst eine Hoffnungsträgerin, dann eine Siegerin.

Vor vier Monaten, an einem milden Januarabend, gewinnt Tsai im zweiten Anlauf die Präsidentenwahl. Zehntausende drängen sich in Taipeh vor dem Wahlkampf-Hauptquartier. Für sie liegt ein Epochenwechsel in der Luft, ein Neustart von Taiwans Demokratie. Zu sehr gekungelt hatte die Vorgänger-Regierung nach ihrem Geschmack mit dem Regime in Peking, in der Hoffnung auf wirtschaftliche Vorteile. Die Volksrepublik erhebt seit ihrer Gründung 1949 Anspruch auf Taiwan, sorgt dafür, dass die Insel international isoliert ist und droht auch mit militärischer Gewalt. Eine verworrene, ungelöste Situation.

"Beide Seiten müssen gemeinsam einen Weg finden, miteinander umzugehen, der auf Würde und Gegenseitigkeit beruht", sagt Tsai, als sie damals vor die Menge tritt. "Provokationen darf es nicht geben, Unterdrückung würde die Stabilität gefährden." Es sind selbstbewusste Töne, die China nicht gerne hört.

Der Zauber des Neuanfangs ist vier Monate später fast verflogen. Obwohl Tsai noch gar nicht im Amt ist, scheint ihre Schonfrist bereits vorbei. Ihr neues Kabinett hat viele enttäuscht. Gerade mal jeden zehnten Posten will Taiwans erste Präsidentin mit einer Frau besetzen, kaum unverbrauchte junge Gesichter berufen.

Dann ist da Taiwans scheidender Präsident. Als "lahme Ente" nimmt Ma Ying-jeou keine Rücksicht auf Tsai. Einst als Lichtgestalt gestartet, erlebte er einen tiefen Sturz, trotz oder vielleicht gerade wegen seiner Annäherung an China. Direktflüge, Handelsabkommen, vier Millionen chinesische Touristen pro Jahr - gedankt haben die Wähler es ihm nicht. Nun fliegt Ma ins umstrittene Südchinesische Meer und streitet mit Japan, Taiwans wichtigem Verbündeten, um Fischereirechte. Provokant finden das internationale Beobachter.

China sendet derweil politische Warnschüsse. Mal wird einer von Taiwans wenigen diplomatischen Verbündeten in Afrika abtrünnig, mal liefern Drittstaaten festgenommene Taiwaner direkt an China aus. Die Botschaft ist klar: Werdet ihr zu eigensinnig, können wir euch auf viele Arten schaden.

"Nach dem Amtsantritt wird China auf jeden Fall den Druck weiter erhöhen", prophezeit Eric Yu. Der junge Politikprofessor beobachtet Taiwans politische Trends und hatte Tsais Wahlsieg lange vorausgesehen. "Peking verlangt von Tsai, das Ein-China-Prinzip zu akzeptieren. Aber das wird sie nicht."

Das ist die politische Zwickmühle, in der Tsai steckt. Um gemäßigte Wähler zu gewinnen, versprach sie im Wahlkampf, am Status Quo mit China nicht zu rütteln. Eines kann Tsai ihrem Vorgänger Ma aber nicht gleichtun: Sagen, dass Taiwan - offizielle Staatsbezeichnung: "Republik China" - Teil eines wie auch immer definierten "Einen China" sei. Für die Anhänger ihrer Partei wäre das eine Kapitulation. Peking jedoch pocht auf diese Erklärung als Vorbedingung, um überhaupt weiter eine Gesprächsbasis zu haben.

Viele Taiwaner würden den historischen China-Ballast am liebsten abschütteln und ihrem Land eine eigene Verfassung geben. Die hartnäckigsten von ihnen halten unter einem schmuddeligen grünen Zelt seit acht Jahren Mahnwache gleich um die Ecke vom Parlament in Taipeh. Tsay Ting-kuei ist ihr Wortführer. Der Ingenieur kennt die künftige Präsidentin noch vom gemeinsamen Studium in den USA Ende der 70er Jahre. Er habe sich damit abgefunden, sagt er, dass Tsai seinen großen Wunsch eines unabhängigen Taiwan in ihrer Amtszeit wohl kaum umsetzen wird. "Wir verstehen, dass sie unter großem Druck steht. So lange sie Taiwan nicht noch enger an die Volksrepublik heranführt, können wir das akzeptieren."

Das große China auf Distanz halten, dabei bestehende Wirtschaftskontakte fortsetzen und der Führung in Peking keine Vorwände liefern, sie als Störenfried darzustellen - einen schwierigen Balanceakt muss die neue Präsidentin abliefern. Bei ihrer Antrittsrede wird die ganze Welt genau hinhören. Die Zeiten, in denen Tsai Ing-wen nicht weiter auffiel, sind jedenfalls vorbei.

(RP)
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