Washington Ein Traum wird nach 100 Jahren wahr

Washington · Auf der Prachtmeile Washingtons hat das Museum für afroamerikanische Geschichte geöffnet. Manche können es noch kaum glauben.

Brad Redrick sagt, dass er sich immer mal kneifen muss, um sicher zu sein, dass er nicht träumt. 58 Jahre alt, dunkle Haut, Polizist in Chicago, ist er nach Washington geflogen, weil er am Premierentag unbedingt dabei sein wollte. Er reibe sich noch immer die Augen, sagt Redrick, er könne noch immer nicht glauben, was er da sehe. "Dass der Traum einmal wahr wird, damit hatte ich nicht gerechnet."

Der wahr gewordene Traum ist ein Kasten, der auf den ersten Blick an eine Stufenpyramide denken lässt. Nur dass die Pyramide gleichsam auf dem Kopf steht, oben etwas breiter als unten. Geschmückt wird sie von einer Fassade aus filigran bearbeiteten Bronzeplatten, die sie je nach Lichtverhältnissen in unterschiedlich dunklen Brauntönen erscheinen lassen. Die gezackte Silhouette soll an Königskronen des westafrikanischen Yoruba-Volkes erinnern, das Gittergeflecht an Balkonverzierungen, wie sie freigelassene Sklaven in New Orleans schmiedeten. In der Nähe schimmert auf einer Anhöhe das Wahrzeichen der Stadt, ein marmorweißer Obelisk, im 19. Jahrhundert errichtet zu Ehren George Washingtons, des ersten Präsidenten der USA. Bis zum Weißen Haus sind es keine fünf Minuten zu Fuß. Es ist ein sehr zentraler Abschnitt der National Mall, der Museumsmeile der amerikanischen Hauptstadt, auf dem das "National Museum of African American History and Culture" seinen Platz fand.

Hal Smith, ein Geschichtslehrer aus dem New Yorker Stadtteil Harlem, erinnert sich noch gut an die Einwände, die weiße, konservative Südstaatler vorbrachten, um den Bau zu verhindern. Der freie Blick auf den Obelisken werde versperrt, die Prachtmeile dürfe nicht zubetoniert werden, das Grundstück sei zu wertvoll für ein Nischenmuseum. 2003, als der Kongress dann doch grünes Licht gab und der damalige Präsident George W. Bush die Novelle signierte, sei er aus dem Staunen nicht mehr herausgekommen, gibt der Lehrer zu. "Dass sie ein solches Denkmal für das schwarze Amerika zulassen würden, an so prominenter Stelle, ich konnte es einfach nicht fassen."

Smiths Skepsis hatte ihre Gründe, denn frühere Anläufe führten zu nichts. Bereits 1915, fünfzig Jahre nach Ende des Bürgerkriegs, gründeten schwarze Kriegsveteranen ein Komitee, das für ein afroamerikanisches Monument auf der Mall werben sollte. Lange Zeit ohne die Spur einer Chance.

Nach dem Parlamentsbeschluss des Jahres 2003 musste Museumsdirektor Lonnie Bunch, ein namhafter Historiker, private Spender auftreiben, damit sie das 540-Millionen-Dollar-Projekt zur Hälfte finanzieren. Oprah Winfrey, die Talkshow-Queen, steht mit 21 Millionen an der Spitze der Geberliste, weshalb man ein Auditorium nach ihr benannt hat.

Von dort geht es auf einer schmalen Treppe nach unten, bis drei Stockwerke unter der Erde der tiefste Punkt erreicht ist. Und damit das düsterste Kapitel: der transatlantische Sklavenhandel. Fußfesseln und die Überreste eines portugiesischen Sklavenschiffs - Planken, Eisenblöcke zum Ausgleich der Ladung, matt beleuchtet in einem ansonsten stockdunklen Raum - erinnern daran. 1794 ist die "São José", aus der portugiesischen Kolonie Mosambik kommend, vor Kapstadt gesunken. Von den über 500 Menschen, die im Laderaum zusammengepfercht waren, überlebten nur 212. In den 1980er Jahren entdeckten Hobbyschatzsucher das Wrack auf dem Meeresgrund. Doch erst 2010 stieß ein Archäologe in den Archiven im südafrikanischen Kapstadt auf das Logbuch des Kapitäns, und weitere Nachforschungen bestätigten, dass es sich um ein verschollenes Sklavenschiff handelte.

Aus dem düsteren Keller führen Rampen nach oben, vorbei an einem Eisenbahnwaggon aus den Zeiten der Rassentrennung, in dem Schwarze nicht in den Abteilen der Weißen sitzen durften. Vorbei am Sarg von Emmett Till, eines Vierzehnjährigen, der 1955 in einem Lebensmittelladen in Money, einem Dorf in Mississippi, mit einer weißen Verkäuferin flirtete und daraufhin von rassistischen Überlegenheitsfanatikern gelyncht wurde. Vorbei an einer Statue Thomas Jeffersons, des Dritten in der Reihe der US-Präsidenten. Einerseits war er der revolutionäre Denker, der 1776 die Unabhängigkeitserklärung verfasste und dabei den großen Satz formulierte, dass alle Menschen gleich erschaffen sind. Andererseits fabulierte er: "Die Schwarzen sind den Weißen unterlegen, sowohl an körperlichem als auch an geistigem Talent. Dieser missliche Unterschied ist ein mächtiger Hinderungsgrund für die Gleichberechtigung dieser Leute". Im Laufe seines Lebens, informiert eine Tafel, besaß Jefferson 609 Sklaven. Henry Louis Gates, schwarzer Professor an der Eliteuniversität Harvard, hat gerade erst in einem Essay daran erinnert, was für eine widersprüchliche Person der "Poet der Republik" war, stellvertretend für seine Zeit. Erst mit diesem Museum, meint Gates, sei er endgültig gewonnen, der lange Kampf, bei dem es darum ging, Jefferson und andere zu widerlegen.

Oben, in drei Etagen über der Erde, sind moderne Devotionalien zu sehen: ein Boxermantel Muhammad Alis, der prächtige rote Cadillac des Rock 'n' Roll-Pioniers Chuck Berry, Louis Armstrongs Jazztrompete, ein Hut aus dem Fundus von Michael Jackson. Die Sprinter Tommie Smith und John Carlos, in Bronze verewigt, recken auf dem olympischen Siegerpodest des Jahres 1968 ihre geballten, schwarz behandschuhten Fäuste zum Black-Power-Protest in den Himmel.

Allein schon durch den Aufstieg über die Rampen, vom Sklavenschiff bis hin zu Muhammad Ali, will Bunch, der Gründungsdirektor, die Quintessenz der afroamerikanischen Story erzählen. Menschen, die verschleppt wurden, um auf den Reisplantagen South Carolinas oder den Tabakfeldern Virginias zu schuften, überlebten die Qualen nicht nur. Sie und ihre Nachkommen steuerten Enormes bei zum Reichtum eines Landes, das sie nicht freiwillig als Heimat gewählt hatten.

"Wir sind keine Last, wir sind kein Fleck, und wir brauchen kein Mitleid - wir sind Amerika", sagte Barack Obama bei der Eröffnung. Calvin Butts, dem Pfarrer der Abyssinian Baptist Church in Harlem, eines frühen Symbols schwarzen Selbstbewusstseins, reichen drei prägnante Sätze, um es deutlich zu machen. "Als wir in der Wildnis Nordamerikas ankamen, sollten wir singen. Und dann haben wir gesungen, Gospellieder, den Blues. Heute singen sie das am Broadway, heute singen sie das in Hollywood."

Als er das Museum nach drei Stunden verlässt, setzt sich Hal Smith draußen auf eine Steinbank und denkt lange nach, wenn man ihn nach seinen Eindrücken fragt. Schließlich spricht er vom stotternden Motor der Geschichte. Die Art, wie sich dieses Land vorwärts bewege, das habe etwas von einem Motor, der mal stottere, mal ganz aussetze, mal auf Hochtouren laufe. Letzteres war 2008 der Fall, da wurde mit Obama erstmals ein schwarzer Präsident ins Weiße Haus gewählt. Optimisten riefen die "post-racial society" aus, eine Gesellschaft, die das Erbe der Rassentrennung endgültig überwunden zu haben schien.

Smith weiß nur zu gut, wie weit das Wunschdenken der Realität damals vorausgeeilt war. Seitdem haben tödliche Polizistenschüsse auf Afroamerikaner ein ums andere Mal heftige Unruhen ausgelöst, in Ferguson, in Baton Rouge, nun in Charlotte. Das Museum, sagt Smith, lasse ihn verstehen, wie zäh der Fortschritt sein könne - und dass es letztlich doch nach vorn gehe. "400 Jahre Geschichte, da begreifst du, was für einen langen Atem du manchmal brauchst."

(RP)
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