Doppelte Staatsbürgerschaft Merkel stellt sich gegen die CDU

Essen · Der Parteitag der Christdemokraten in Essen ist mit einem Paukenschlag zu Ende gegangen: Kanzlerin Merkel wehrt sich gegen den CDU-Beschluss zur doppelten Staatsbürgerschaft. Zurück bleibt eine in Integrationsfragen zerstrittene Partei.

 CDU-chefin Merkel: "Es wird in dieser Legislaturperiode keine Änderung geben"

CDU-chefin Merkel: "Es wird in dieser Legislaturperiode keine Änderung geben"

Foto: dpa, mkx

Die Nationalhymne ist gesungen, die Delegierten des CDU-Parteitags sind auf dem Weg zum Bahnhof. Nur die Kanzlerin ist noch in der Gruga-Halle in Essen und gibt den aufgebauten Fernsehstationen Interviews. "Es wird in dieser Legislaturperiode keine Änderung geben", sagt sie dem Nachrichtensender n-tv auf eine Frage nach den Konsequenzen aus dem Beschluss zur doppelten Staatsbürgerschaft, den die CDU-Führung gerne verhindert hätte.

Dass die Kanzlerin den mühsam mit der SPD in der großen Koalition ausgehandelten Kompromiss nicht aufkündigen will, überrascht nicht. Die Deutlichkeit, mit der sich Merkel von der eigenen Partei distanziert, ist sehr wohl überraschend: Sie halte den Beschluss persönlich für falsch, sagt sie. Während Unionsfraktionschef Volker Kauder beim Parteitag noch in Aussicht gestellt hatte, dass der Beschluss Eingang in ein Wahlprogramm finden könnte, wendet Merkel sich dagegen: "Ich glaube auch nicht, dass wir einen Wahlkampf über den Doppelpass machen, wie wir das früher mal gemacht haben."

Merkels TV-Interview, in dem sie sich gegen den Beschluss ihrer Partei stellt, ist ein Parateitag vorausgegangen, der für die Kanzlerin schwierig war. Als Parteichefin wurde sie mit nur knapp 90 Prozent bestätigt. Auch ohne Kampfabstimmungen setzten die Kritiker ihrer Flüchtlingspolitik Verschärfungen im Umgang mit und bei der Abschiebung von Asylbewerbern durch. Merkels "Ihr müsst mir helfen" wurde gehört, aber offensichtlich nicht erhört.

Vielmehr folgt am Mittwochvormittag ein kleiner Putsch. Über den Antrag, die doppelte Staatsbürgerschaft wieder abzuschaffen, wird kontrovers diskutiert. Innenminister Thomas de Maizière holt weit aus, erklärt die Genese des Gesetzes über die doppelte Staatsbürgerschaft und weist darauf hin, dass er nirgends einen Koalitionspartner sehe, mit dem die CDU die Rückabwicklung des Doppelpass-Gesetzes hinbekommen könne.

Das ist der Moment, in dem es Staatssekretär Jens Spahn nicht mehr auf seinem Stuhl hält. "Dann muss ich auch doch noch was sagen", beginnt er, nachdem er zum Rednerpult geeilt ist. "Natürlich muss man in einer Koalition Kompromisse machen. Aber wir sind hier auf dem CDU-Parteitag", lautet sein Schlüsselsatz, für den er lebhaften Applaus erntet.

Schon im Sommer hatte sich Spahn zu Wort gemeldet. Damals hatten immer mehr Türken und Türkischstämmige in Deutschland Partei für den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan ergriffen und dabei die doppelte Staatsbürgerschaft infrage gestellt. Die Menschen müssten klären, wem ihre Loylität gehöre, so seine Forderung.

Es ist ein minutenlanges Belauern. Die Junge Union spürt, dass hier was geht. JU-Chef Paul Ziemiak hat sich erneut zu Wort gemeldet, hört dann, dass CDU-Generalsekretär Peter Tauber intervenieren will und sagt: "Ich warte ab, was er zu sagen hat." Der Merkel-Vertraute grinst: "Du hast doch schon gesprochen" — und legt sich kräftig ins Zeug.

Tauber knüpft an die Bedenken von de Maizière an. Er erinnert daran, dass eine Rückkehr zum alten Recht, wie vom CDU-Nachwuchs beantragt, nicht automatisch zu einer besseren Integration führe. Das habe man doch früher erlebt. Ihm gehe es aber darum, dass das Bekenntnis zu Deutschland eine "Herzensentscheidung" sein müsse. "Das erreichen wir nicht mit Zwang", unterstreicht Tauber.

Die erste Abstimmung ergibt kein klares Bild. Die Partei ist in dieser Frage offenbar gespalten. Nun wird schriftlich entschieden. Als die Stimmzettel ausgezählt sind, hat die Rückabwicklung gewonnen: 319 gegen 300 Stimmen. Die Delegierten wollen nicht mehr, wie in früheren Jahren, wie die Lämmer ihrer Parteiführung folgen. "Ich habe auch für die Abschaffung gestimmt", sagt der Bundestagsabgeordnete aus NRW, Thomas Jarzombek, hinterher. "Wir wollen doch hier deutlich machen, wofür die CDU steht."

Erfreut über die Entscheidung zeigt sich auch CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt. "Das zeigt, dass CDU und CSU in den Fragen von Integration und innerer Sicherheit nicht sehr weit auseinander sind", sagt sie. Vielmehr gebe es in beiden Parteien ernsthafte und strittige Diskussionen, was die richtigen Entscheidungen seien. Das sagt sie noch vor Merkels TV-Auftritt. Doch sie zielt ins Schwarze.

Am Ende des Parteitags steht eine in der Integrations- und Flüchtlingspolitik zerstrittene Partei: Ein Flügel, der es satt hat, als Kanzler-Wahlverein gegen die eigenen Überzeugungen zu stimmen und Merkel mit ihren Getreuen, die diese Gefolgschaft aber einfordern.

Mit ihren deutlichen Worten gegen den Parteitagsbeschluss erinnert Merkel an Helmut Schmidt und Helmut Kohl in ihren späten Jahren, die auch gerne deutlich machten, sich nicht an Parteitagsbeschlüsse gebunden zu fühlen.

(may- / qua)
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