Analyse Die Zukunftsrisiken für NRW

Düsseldorf · Erstmals analysierte eine Landtags-Kommission, welche Folgen der Wandel der Bevölkerungsstruktur hat: Das flache Land wird Einwohner verlieren, Kinder brauchen mehr Förderung, Flüchtlinge müssen besser integriert werden.

Region: Diese Städte sollen ab 2014 den "Kommunal-Soli" zahlen
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Foto: dpa, Oliver Berg

Viele NRW-Städte wie Köln, Düsseldorf, Bonn oder Münster werden in den nächsten 15 Jahren deutlich bei der Bevölkerung zulegen - das flache Land wie die Kreise Lippe und Höxter verliert dagegen so stark, dass über den Abriss von Wohnblocks nachgedacht werden muss. Das Bildungsniveau der Bevölkerung nimmt weiter zu - doch das könnte so weit gehen, dass es irgendwann vielleicht zu viele Akademiker gibt. Und selbst wenn die Schuldenbremse für den Landeshaushalt ab 2020 eingehalten wird, kann nicht einfach von stabilen Finanzen gesprochen werden: So hat NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD) bei der Berechnung künftig fälliger Pensionen nicht einbezogen, dass die Lebenserwartung weiter stark steigt. Das Ergebnis: Im Jahr 2030 könnten vom Land 241 000 Pensionäre und Ruhegehaltsempfänger zu versorgen sein und nicht 228 000 wie bisher gedacht. Die Landesregierung relativiert dies aber mit dem Hinweis darauf, dass Beamte künftig stufenweise bis zu 67 Jahren arbeiten müssen - dies würde die Zahl der Pensionäre wiederum begrenzen.

Alle Warnungen sind Teil eines Berichtes der ersten Enquetekommission des Landtages zu den langfristigen Folgen des demografischen Wandels für NRW. Die 178 Empfehlungen des Berichtes wurden gestern vorgestellt.

Im Mittelpunkt steht die Frage, ob und wie das Land künftige Herausforderungen finanziell schultern kann. Und bei der gestrigen Präsentation machten die Oppositionsparteien CDU, FDP und Piraten deutlich, dass sie da Zweifel haben: Union und FDP glauben, dass nur höheres Wirtschaftswachstum das Land langfristig voranbringen kann - und da mache die rot-grüne Landesregierung viele Fehler.

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Foto: dpa, Federico Gambarini

Die Piraten meinen umgekehrt, dass NRW den 137 Milliarden Euro hohen Schuldenberg nur abbauen kann, wenn die sehr hohen privaten Vermögen in Deutschland besteuert werden - neue Investitionen wird eine solche Politik allerdings nur schwer anlocken.

Dabei steht das Land laut einhelliger Meinung der Enquetekommission vor gewaltigen Herausforderungen. Arbeitskräftelücke Dank vieler Einwanderer und Flüchtlinge wird zwar die Bevölkerung des Landes bis 2035 um knapp ein Prozent auf dann 17,7 Millionen steigen - aber die Struktur verändert sich deutlich. So wird die Gruppe der mehr als 65-jährigen bis 2036 um rund ein Drittel steigen. Gleichzeitig geht die Zahl der Bürger im Alter zwischen 45 und 65 Jahren um zwölf Prozent zurück - es werden also viele ältere Arbeitnehmer fehlen. Damit also weiter genügend Beschäftigte Staat, Renten und Pensionen finanzieren, schlägt die Kommission mehr als 40 Schritte vor, damit Frauen, Zuwanderer und auch ältere Bürger sich stärker am Erwerbsleben beteiligen.

So sollten Kommunen mit "Angeboten zur interkulturellen Öffnung" und "familienfreundlicher Standortpolitik" um Zuwanderer werben. Die Sorge scheint durch, dass wirtschaftsstärkere Länder wie Bayern und Baden-Württemberg sowie Berlin und Hamburg besonders gut ausgebildete Immigranten anlocken, wogegen manche Teile von NRW wie das Ruhrgebiet eher Ziel von überwiegend schwach ausgebildeten Zuwanderern werden.

2012: Das sind die Kommunen mit den höchsten Schulden
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Foto: centertv

Unternehmen sollten flexiblere Arbeitszeiten anbieten, damit Frauen leichter arbeiten können. Alleinerziehende Mütter (oder Väter) sollten öfter eine Teilzeitausbildung bekommen, um besser qualifiziert nach der Familienphase einsteigen zu können. "Wenn wir wie in Schweden 70 Prozent vollerwerbstätige Frauen hätten, hätten wir die drohende Arbeitskräftelücke gefüllt", sagt Markus Weske, Sprecher der SPD in der Enquetekommission. Bildungs-Risiko Gerade wegen der vielen Zuwanderer und ihres Nachwuchses drängt die Kommission auf einen starken Ausbau der frühkindlichen Förderung. Im März 2014 lag NRW laut Bericht aber noch hinter allen anderen Bundesländern bei der Betreuung von Kindern unter drei Jahren in Kindertagesstätten. "Bei Sprachbildung und Sprachförderung für kleine Kinder muss viel mehr geschehen", sagte Kommissionsleiterin Astrid Birkhahn von der CDU. Dabei müsse das Personal von Kindertagesstätten deutlich besser als bisher qualifiziert werden - die Landesregierung sieht das ähnlich.

Ziel wäre vorrangig, zu verhindern, dass erneut wie in 2013/2014 rund fünf Prozent der Jugendlichen die allgemeinbildende Schule ganz ohne Abschluss verlassen und weitere rund vier Prozent nur einen einfachen Hauptschulabschluss (Klasse 9) haben. Sie alle sind Kandidaten für Arbeitslosigkeit - laut Kommission wird die Zahl von Arbeitsplätzen für Menschen ohne Berufsausbildung in den nächsten Jahren noch einmal um 25 Prozent sinken. Akademiker-Überschuss Wenig hält die Kommission davon, dass junge Leute zu fast 50 Prozent Abitur oder Fachhochschulreife haben und dann meistens studieren. Sie warnt vor einem "Überangebot von Akademikern" in manchen Bereichen. Auch am Gymnasium solle für manche Ausbildungen geworben werden. Studienabbrecher sollten gezielt für eine betriebliche Aus- und Weiterbildung angesprochen werde. Berufskollegs sollten gefördert werden. Digitalschwäche "Höchst dringlich" sei, mehr Lehrer für Mint-Fächer auszubilden - also für Mathematik sowie Natur- und Ingenieurwissenschaften. Die Hochschulen sollten solche Studiengänge aufrechterhalten, auch wenn es viele Studenten eher in die Geisteswissenschaften zieht. In den Schulen sollte "Digitale Bildung . . . ausgebaut und systematisiert werden".

Ziel dieser Aktivitäten wäre, der Industrie zu helfen, ihre Prozesse zu digitalisieren - so haben Bayer und Henkel dafür Offensiven begonnen. Außerdem sollte das Land Start-ups in der digitalen Wirtschaft und bei anderen Spezialtechnologien stärker fördern. Das Land solle aber auch ein Innovationszentrum für die Digitalisierung des Mittelstandes prüfen - wie das bezahlt werden soll, bleibt aber offen.

(RP)
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