Analyse Die Welt versagt in Syrien

Düsseldorf · Die Lage in Aleppo ist verheerend. Der Weg zum Frieden in Syrien ist blockiert, weil Russland nicht zurücksteckt, USA und EU aber mit sich selbst beschäftigt sind. Es wäre an der Uno, endlich einmal Mut zu beweisen.

 Eine zerstörte Wasserleitung in Aleppo.

Eine zerstörte Wasserleitung in Aleppo.

Foto: rtr, ALH/LP

Die Bilder sind unerträglich. Geborstener Beton - aufgetürmt wie zu Grabhügeln. Eingestürzte Häuser, und wo Wände noch stehen geblieben sind, bilden sie die Kulisse einer ablaufenden Tragödie aus Tod und endloser Traurigkeit. Helfer springen in dem Trümmerfeld umher, mit bloßen Händen versuchen sie, die Schuttmassen wegzuräumen. Dann ziehen sie ein schwer verletztes Kleinkind ans Tageslicht der einst stolzen syrischen Stadt Aleppo. Wird es überleben? Man weiß es nicht. Wie viele Bürger Aleppos liegen dort noch lebendig begraben? Wie viele können noch rechtzeitig gefunden und gerettet werden?

Andere Kinder laufen offensichtlich traumatisiert umher. Wieder andere starren mit weit aufgerissenen Augen in eine Welt, die sie nicht verstehen. Doch das können auch viele Erwachsene nicht mehr. Man sieht verstümmelte Menschen, viele bewegen sich wie Automaten, so als müssten sie auf vorgegebenen Bahnen laufen. Heute, morgen, übermorgen. Doch sie wissen nicht einmal, ob sie ein Morgen überhaupt erleben werden. Sind sie es dann, die nach dem neuerlichen Bombenhagel aus den Trümmern kriechen wie ein stummer Protest des Lebenswillens gegen eine übermächtige Kriegsmaschinerie? Wen im saturierten Westen solche Bilder eines eskalierenden Krieges kalt lassen, der muss in der Tat hartgesotten sein. Er muss die westlichen zivilisatorischen Werte wie Hilfsbereitschaft und Anteilnahme nie gehört oder vergessen haben.

Seit fünfeinhalb Jahren tobt in Syrien ein Bürgerkrieg. Aufständische wollen Machthaber Baschar al Assad und dessen Regime zum Teufel jagen. Auch der Westen will den Diktator loswerden, doch der hat mächtige Verbündete, die das nicht zulassen wollen. Russland und der Iran stehen zu ihm. Der Grund: Es geht um Einfluss in der Region in einem strategisch wichtigen Land des Nahen Ostens. Unter Führung der USA setzt der Westen auf eine Nach-Assad-Zeit. Doch die liegt in weiter Ferne, und wie sie aussehen soll, wie politisch geordnet sie sein soll, ist nicht klar. Inzwischen hat der Krieg Hunderttausende getötet, elf Millionen Menschen sind auf der Flucht. Die meisten von ihnen sind in den Nachbarländern gestrandet, doch Millionen haben sich auf den langen Weg nach Europa gemacht. Europa und vor allem die Länder der Europäischen Union sind von den Auswirkungen des syrischen Bürgerkrieges betroffen. Europa kann sich seiner Verantwortung für die Schutzsuchenden nicht entziehen.

Die USA, Großbritannien und Frankreich hatten gestern nach verheerenden Bombenflügen in den vergangenen Tagen von Assads Luftwaffe und der seines Verbündeten Russland zu einer Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrates gerufen. Doch am Betroffenheitsritual wird sich wenig ändern. Es wird gegenseitige Schuldzuweisungen geben, man wird immer den anderen des Bruchs von Waffenstillstandvereinbarungen bezichtigen, und am Ende wird kein UN-Beschluss das Ende des Gemetzels einleiten.

Die Armee Assads will Aleppo wieder unter ihre Kontrolle bringen. Im Ostteil der von Aufständischen kontrollierten Stadt sollen sich rund 250.000 Menschen aufhalten. Seit Freitag sollen mehr als 100 getötet worden sein. Zuvor war der von den USA und Russland ausgehandelte Waffenstillstand gebrochen und ein UN-Hilfskonvoi für die Eingeschlossenen bombardiert worden.

Auch gestern wurde der Ostteil der Stadt von Kampfflugzeugen angegriffen. Von Regierungsseite verlautete, Ziel sei es, ganz Aleppo innerhalb einer Woche zurückzuerobern. Die Rebellen sagen, die Siedlung Handarat im Norden der Stadt, die seit Jahren unter ihrer Kontrolle stand und nun von Assads Milizen erobert worden war, sei zurückerobert worden. Assads Militär habe Phosphorbomben und auch Bunker sprengende Bomben eingesetzt. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon zeigte sich entsetzt. Der britische Außenminister Boris Johnson warf Russland vor, den Krieg zu verlängern. Es müsse untersucht werden, ob die Bombardierung der Stadt ein Kriegsverbrechen darstelle. Die EU blieb bei ihrem Kurs: Sie rief zur Rückkehr an den Verhandlungstisch auf. Alle Länder, die Einfluss auf das Regime in Syrien hätten, und jene, die im Konflikt mit der bewaffneten Opposition stünden, müssten maximalen Druck auf die Konfliktparteien ausüben, hieß es in einer gemeinsamen Erklärung der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini und des für humanitäre Hilfe zuständigen EU-Kommissars Christos Stylianides.

Wie geht es weiter? Niemand kennt den Weg zum Frieden, solange Russland mit seinen Verbündeten gegen die USA und den Westen in einem zermürbenden Stellvertreterkrieg um Machtanteile ringt. Keine Seite will zurückstecken. Russlands Präsident Putin, dessen Land wegen der Annexion der Krim unter westlichen Sanktionen leidet, will seine Schlüsselstellung in diesem Konflikt nicht aufgeben und die Ohnmacht des Westens aufzeigen. Die USA, die im November einen neuen Präsidenten wählen, können außer Friedensappellen wenig tun. Militäraktionen sind da ausgeschlossen. Und die EU ist mit sich selbst beschäftigt. Unter dem Druck von Flüchtlingsströmen droht die Union zu zerbrechen. Insofern erwarten Diktator Assad, der sein eigenes Volk bombardiert, keine Konsequenzen.

Doch es gäbe einen Hoffnungsschimmer zugunsten der Menschen. Der Sicherheitsrat müsste einmal Mut beweisen, und Syrien für einige Jahre unter seine Aufsicht stellen und den Wiederaufbau einleiten. Dann hätten UN-Friedenstruppen auch einen Sinn, deren Anwesenheit mit der Entwaffnung der verschiedenen Milizen einhergehen müsste. Siegen aber weiter die Unvernunft und der Zynismus, droht Syrien und der Region ein endloses Blutbad in einem neuen Dreißigjährigen Krieg.

(RP)
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